Für diesen einen Song
Lady Wray | Cover Girl
(Big Crown Records)
Wer große weibliche Soulstimmen liebt – diese seltene Mischung aus erdigem Timbre, bittersüßer Verletzlichkeit und triumphaler Größe, wie sie bei Lady Blackbird oder Iris Gold zu finden ist –, wird auch bei Lady Wray hängen bleiben. Wobei: Hängen bleiben trifft es nicht ganz.
Ihre neue, mittlerweile auch schon dritte Soloplatte Cover Girl gleitet eher als elegant-unaufdringlicher, wohltemperierter R&B-Cocktail vorüber, der kaum Ecken und Kanten hat. Aber dann – mitten im Durchhören, fast beiläufig – passiert es. Ein Song, der alles verändert. Ein Moment, der das Album rettet, ja rechtfertigt. Für diesen einen Song lohnt sich die ganze Reise. Einsteigen bitte!
Nebenbei Drinschwelgen
Mit elf Songs auf knapp vierzig Minuten kommt Cover Girl angenehm knapp daher: klassische Liedlängen, nichts Überbordendes und niemand, der meint, weil nun einmal 74 Minuten und 33 Sekunden Musik auf eine CD passen, diese auch ausreizen zu müssen. Bereits der Opener „My Best Step“ erinnert an eine Old School-Soulballade à la Otis Redding, begleitet vom gospelnden Klavier – etwas zum nebenbei Drinschwelgen. Ich nenne sowas gern Easy like Sunday Morning-Musik, und zwar im besten Sinne.
Die Beats dagegen kommen schnell, nämlich schon mit dem Folgetrack „Be A Witness“, in der elektronischen R&B-Gegenwart an – was leider auch ein kleines Stück Belanglosigkeit mit sich bringt. Andererseits tauchen sie dabei immer mindestens einen Fuß in jenen supersynthetischen Achtzigerjahre-Nightflite-Sound, der sich unter den großen Soulstimmen jener Zeit weiter Verbreitung, man denke hier etwa an Lisa Fischer oder Luther Vandross, erfreute – und der natürlich auch ein wichtiges Puzzleteil musikalischer Sozialisation war, was letzten Endes mit seiner Voraussehbarkeit versöhnt. Nostalgie ist eben doch ein weiches Ruhekissen.
Wie gut, dass schon „Where Could I Be“ wieder das Beste beider Welten kombiniert: den klassischen Soulsechsachtler mit retrofuturistisch angezerrtem Gesang, der mich an Shelina „Lina“ Wades Stranger on Earth von 2001 – und hier besonders die Single „Don’t Say Nothing“ – erinnert, bevor er sich in etwas Hymnisches verwandelt, sodass man kurz das Gefühl bekommt, mitten in einem großen, echten Soulmoment gelandet zu sein.
Ohnehin: die Wandlung! Da fängt ein Stück wie „Hard Times“ als gutgelauntes, congadominiertes Dance-Stück à la Gloria Estefan & Miami Sound Machine an, derweil der Gesang an Jody Watley und Co. erinnert, metamorphosiert dann aber zu einer radio- und bürotauglichen Motown-meets-Eighties-Midtempo-Hintergrundbeschallungsnummer. Apropos Motown: „Best For Us“ weckt Assoziationen an das von Marvin Gaye geschriebene „The Bells“, bleibt aber im typischen Spätachtziger-, Frühneunziger-Soulsound hängen – angenehm wohlfühlig, butterweich und ohne sich je so richtig in die Tiefe zu wagen. Kein organischer NuSoul, der die Hörmaßstäbe in den Zweitausendern zu jenem Grade neu gesetzt hat, dass sich fortan alle nachfolgenden Soulproduktionen an ihm messen lassen müssen. Und schon gar keine reduzierten, düsteren Akustiksoulexplorationen, wie wir sie von Paul Weller mit Celeste oder eben Lady Blackbirds erster Platte kennen, die einem förmlich unter die Haut, ja: in die tiefste Seele hineinkriechen.

Unter die Haut und in die Seele
Kaum aber stellt sich leises Bedauern über die vertane Chance ein, ist sie auch schon da: die titelgebende, akustische Pianonummer, die die unfassbar starke Stimme Lady Wrays, welche bislang ein wenig in der Produktion versackte, endlich in den Vordergrund stellt. „Cover Girl“ – in dem es abwechslungsweise nicht um Herzschmerz geht, sondern um das radikale Bekenntnis zu natürlicher Schönheit – ist der Grund, weshalb es diese Rezension gibt.
Und wäre es nicht zu schön gewesen, eine ganze Platte mit diesem süchtigmachenden Sound zu haben? Hier schwingt alles mit – Gospel, Soul, Schmerz, Größe; Liebe und Tod, Himmeljauchzen und Abgrund. Es ist ein Song, der hängen bleibt, wie ein letzter Sonnenstrahl auf einem staubigen Bühnenboden, lange nachdem der Applaus verklungen ist.
Doch so schnell, wie sich dieser gleichzeitig erhebende wie zerschmetternde Moment materialisiert hat, ist er auch schon wieder fort. Lady Wray, das beweist spätestens das folgende „You’re Gonna Win“, scheint eine Vorliebe für die Achtziger zu hegen. Bemerkenswert allein, dass dieser Sound nach dem Hören von „Cover Girl“ mit einem Mal gar nicht mehr so oberflächlich und poliert klingt wie zu Beginn.
Vielleicht hat „Cover Girl“ etwas überwunden, etwas geöffnet, denn lässt man sich erst einmal von Kopf bis Fuß auf den Sound dieser Platte ein, versetzt er einen angenehm reminiszierend zurück in die Zeiten von Teddy Pendergrass, Patti LaBelle, Anita Baker, Will Downing, Al B. Sure, Chico DeBarge, vor allem aber in die Welt des schon erwähnten Luther Vandross – und der Vokalakrobatik von Lisa Fischer, mit deren Soprankoloraturen es Lady Wray easy aufnimmt. Der Sound der Lady fühlt sich plötzlich als willkommene Hommage an geschmacksprägende Momente der eigenen Plattensammlerbiografie an – mit all der glänzenden Glattheit, die dazugehört.

Sattsam bekannt, seltsam vertraut
Zugegeben: Manches gniedelt schon ganz schön vor sich hin – und kippt, etwa auf „Time“, derart ins Girlyhafte, dass ich von musikgewordener Chick-Lit sprechen möchte. Aber dann wird’s doch wieder gut. Während „What It Means“ erneut mit diesen an Fisher erinnernden Koloratursoprantönen spielt, lässt der Auftakt von „Higher“ an Diana Ross‘ „Touch Me in the Morning“ denken.
Ohnehin erscheinen die Tracks der Wray sattsam bekannt, seltsam vertraut, als hätte man all das schon einmal gehört – und zwar in einem längst vergangenen Jahrzehnt, als Soulpop noch ohne Ironie auskam und sich nicht scheute, mit kühler Politur zu glitzern.
Abgerundet wird Cover Girl von einer weiteren Pianoballade, die sich mit positiver Inbrust statt düsterem Weh in die Hörerherzen gospelt, inklusive Kirchenchor und -kapelle, die am Ende alle von ihren Sitzen reißen und zu wilder Zelebration animieren. Dennoch bleibt es dabei: Cover Girl von Lady Wray wird dieser Stimme, die sich beispielsweise bei ihrem Tiny Desk-Konzert vor akustischem Hintergrund voll entfalten kann, nur in den seltensten Momenten gerecht. Wir haben es mit einem Album zu tun, das vielleicht etwas allzu oft etwas allzu sehr auf sicheren Bahnen segelt.
Wofür ich diese Platte dennoch empfehlen möchte, ist und bleibt das titelgebende Stück, von dem zu hoffen ist, dass es als ebenso bunte Single erscheint wie die limitierte Pink with Blue Smoke Vinyl-Version des Albums, die man sich – natürlich – am besten via Bandcamp ins Haus kommen lässt. Nur für diesen einen Song, ja. Aber manchmal genügt genau das.


