Musik-Tipp: Black Acid Soul – Lady Blackbird

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Wo sich Cool- und Deepness die Hand reichen

Lady Blackbird | Black Acid Soul

(BMG Rights Management/Warner)

Über dieses Debüt spricht man. Oder vielmehr: würde man sprechen, hätte man die Worte dafür, denn nur selten entzieht sich eine Platte derart der Beschreibung wie Black Acid Soul der jungen Los Angeleser Künstlerin Marley Munroe. Zwar war die schon an der einen oder anderen wilden Pop- oder Alternative Rock-Produktion beteiligt und fiel nicht zuletzt durch ihre LGTBQ+-inspirierte, reich kostümierte Bühnenshow auf, doch ist der Alias der Lady Blackbird für sie genauso neu wie diese Musik. Puristisch, tief und dorthin zielend, wo’s richtig wehtut. „Eine Offenbarung, nicht von dieser Welt“, sagt die eine. „Eine Klasse für sich“ der andere. In beiden Fällen handelt es sich um Jazz-Professionals, die sonst sicherlich nicht um Worte verlegen sind und mit Superlativen eher geizen. Beide, das sei hier schon vorweggenommen, untertreiben.

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Den Auftakt macht der künstlernamensgebende, bluenotereiche Nina-Simone-Klassiker „Blackbird“, der in Munroes Interpretation an eine andere Lady erinnert, nämlich Lady D. aka Billie Holiday. Auch, wenn Blackbird die tiefere, souligere Stimme hat – der Schmerz ist derselbe. Und dieser setzt dann auch den Ton für den Rest des Albums. Dunkel, spirituell und ja: auch brutal, denn natürlich ist „Blackbird“ mit Zeilen wie No place big enough for holding/all the tears you’re gonna cry/Cause your mama’s name was lonely/and your daddy’s name was pain/And they call you little sorrow/cause you’ll never love again/Why you wanna fly Blackbird/you ain’t ever gonna fly, obwohl Jazzstandard, in erster Linie ein Protestsong, der einem das Herz zerreißt, und sicherlich nicht das, was in der Sonntagskaffeebar zum Brunch mit Cupcakes und Pumpkin Latte laufen würde, zwingt er doch zum Genauhinhören und dann Ameigenenleibnach- oder zumindest -mitfühlen.

Auch auf „It’s Not That Easy” bleibt die minimalistische Melancholie erhalten, doch injiziert die von Miles-Davis-Entdeckung Deron Johnson gerührte Orgel eine gehörige Portion Southern Soul in die von Reuben Bell und seinen Casanovas 1967 unters Volk gebrachte Nummer – allerdings jenen Soul herzzerschmetternder, mit allem Schmerz dieser Welt beladener, von verzweifeltem Flehen durchtränkter Provenienz; denn ob nun der Blackbird ain’t never gonna fly again oder ob es not so easy forgetting you ist, der Verlust ist in beiden Fällen real.

Das auf einer Bill-Evans-Komposition basierende „Fix It“ mit seinen einlullenden Pianoakkorden dagegen kommt einem Wiegenlied gleich, das alle Beruhigung, mehr noch: Verlässlichkeit dieser Welt verheißt. Wenn die Lady mit ihrer Nicht-von-dieser-Welt-Stimme verspricht, I‘ll fix it for you, weiß man, dass man alle Verantwortung abgeben und sich vertrauensvoll fallen lassen kann. So ein Lied, so eine Stimme ist das! Und wenn sie dann den „Ruler of my Heart“ sucht, auf den sie so patiently wartet, wird es nachgerade hoffnungsvoll. Selbst ihr Come back, come back, come back jubiliert derart soulig gospelnd, wie man es nur von Gladys Knight zu seligen Pips-Zeiten kennt, derweil die Band den Song mit einem spätnächtlichen Intermezzo vom Südstaatengottesdienst in den Jazzclub zu bringen versteht.

Doch wenn‘s dann heißt Broken is our love/smoke rays rise above, um im Stile der jungen Cassandra Wilson zu beklagen, „Nobody’s Sweetheart“ anymore zu sein, kommt – der dezent optimistischen Akustikgitarrenbegleitung und einem verhaltenen Trompetensolo des legendären New Orleans-Virtuosen Trombone Shorty zum Trotz – wieder etwas von der anfänglichen Verzweiflung durch. Man will sie einfach nur in den Arm nehmen, die Lady, wie es der ausklingende Ton des gestrichenen Kontrabasses dann auch tut. „Collage“ dagegen klingt genauso, wie der Titel verheißt. Erstmals deutet sich hier etwas Prächtig-Orchestrales an, das leichte Ahnungen von Sun Ra zulässt, hätten ihn die Acid-Jazzer von Incognito zu einer nicht-öffentlichen Jamsession geladen.

„Five Feet Tall“, einer der wohl schönsten Torch-Songs des Albums, ist mit den Eingangszeilen Touch my heart/burn my soul wieder so eine besenschlagzeugreiche Good Morning, Heartbreak-Nummer, für die man dieses Album schon an dieser Stelle so liebgewonnen hat – nicht zuletzt, weil sie als gar nicht mal so fernes Echo eines Real Book-Klassikers (hier: „My Funny Valentine“) daherkommt, bis man voller Erstaunen feststellt, dass es sich um eine weitere Eigenkomposition von Munroe und ihrem Produzenten Chris Seefried aka Bullfrog handelt.

Das 1962 zuerst von Lou Rawls and Les McCann Ltd. im Easy-Listening-Sound veröffentlichte und seither nicht eben selten gecoverte „Lost and Looking“ gerät dann zum Schlüsseltrack, fasst es doch jene Verlorenheit, wenn man von der auf einen niederschmetternden Tag folgenden Tiefschlafnacht aufwacht und realisiert, dass alles kein schlechter Traum ist, sondern Realität, in Töne. Diese geraten zum bluenotegetränkten Duett mit Bass, aus dem sich ein Blues entspinnt, gesungen von jemandem, der seit frühester Kindheit im Gospelchor aufgewachsen ist, derweil die (synthetischen) Vibraphonsounds für den gewissen Extra-Flavor sorgen, ein Ooh bam bam-Chor chromatisch die Tonleiter erklimmt und ein Pianosolo nach Honky Tonk-Manier in die Niederungen einer Blueskneipe entführt, dorthin, wo man sie Juke Joint nennen würde.

Trotz cleanem Studiosound haben wir es beim Remake von Bluesfolkrocker Tim Hardins „It’ll Never Happen Again“ einmal mehr mit einem erinnerungsreichen Abschiedssong zu tun, inklusive all the pain und dem ganzen rain around my eyes – und doch gelingt es einer sich zunehmend ihrer Stärke bewusst werdenden Lady Blackbird, der Geschichte ein positives Ende zu geben, denn es ist ja nicht immer schlecht, wenn etwas nicht mehr passieren wird. So erinnert sie sich zwar wehmutsvoll ihrer beendeten first affair mit dem besungenen Du, lässt aber gleichzeitig zwischen den Zeilen anklingen, dass eine mögliche zweite Affaire eben keine solche mehr sein wird, sondern ein happily ever after.

Vorher gilt es allerdings noch, der schönen Fremden zu trotzen, die als Venusfalle mit kalten Augen dargestellt wird, eine Circe, mit Garantie tödlich, sodass man zunächst nicht umhin kommt zu denken: Sollten wir im Jahr 2021 nicht längst darüber hinaus sein, der „anderen Frau“, der „Ehebrecherin“ die Schuld zuzuschieben, deren Reizen der hilflose Mann erlegen ist, denn: er konnte ja gar nicht anders, der Arme? Dessen ungeachtet ist „Beware the Stranger“ der mit Abstand sexyste Song des Albums, auf dem die vorhin angedeuteten Sun Ra-Sounds zu voller Pracht erblühen. Es sind keine Chöre, die hier zu hören sind, sondern ein vokales Arkestra; ein Stück voller Blaxploitation und Acid, wo sich Cool- und Deepness die Hände reichen, was kein Wunder ist, wurde der Song doch zunächst als „Wanted Dead Or Alive“ von den Voices of East Harlem popularisiert, die von Leroy Hutson und Curtis Mayfield produziert wurden. Im Original ist die verführerische Fremde übrigens ein Kerl, was den Gendertwist von Lady Blackbird nicht mehr zur Schmähung ihrer Geschlechtsgenossinnen macht, sondern zum Statement weiblicher Selbstbestimmung und Stärke.

Und die kumuliert im Titeltrack, der die Platte manifestartig abschließt – und zwar mit einem ganzen Klangkaleidoskop aus Streichern, Vibraphon- bzw. Glockenspielsounds und einem Rhythmusgeber, der klingt wie ein mit Lindt-Hasen-Glöckchen bestückter, geschüttelter Kürbis, sowie einem bei aller Liebe nicht zuordenbaren, sägend-schnurrenden Leadinstrument, das sich anhört wie eine Melodica, die auf einem schlechten Trip hängengeblieben ist. Kurz: Es tönt alles sehr phychedelisch, sehr acid, sehr blaxploitation, eben nach „Black Acid Soul“ – eine Genreneuschöpfung, die spätestens an dieser Stelle sehr, sehr sinnfällig ist. Und dann sind da auch noch die gewaltigen Harlem-Chöre, die einmal mehr den Eindruck erwecken, als hätte ein 200-köpfiger Klangkörper im Studio Platz genommen. Dabei sind es exakt vier Musiker: Lady Blackbird an den Vocals, Deron Johnson an Piano und Synths, Jon Flaugher am Kontrabass und Jimmy Paxson an Drums und Percussions.

Mit genannten Ausnahmen bestreitet dieses Quartett eine Platte, die ein einziges Crescendo ist: Was leise und leidend beginnt, steigert sich zum hundertstimmigen Befreiungschor. Wer will, kann Black Acid Soul als Coming of Age-Story weiblichen Selbstbewusstseins lesen: Die Wandlung einer von aller Welt Verlassenen zur sich ihrer Sinnlichkeit, Stärke und Spiritualität vollends Bewusstseienden, wie sie üblicherweise erst einer auf Dekaden ihrer Karriere zurückblickenden Künstlerin vergönnt ist.

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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