Perfekter als perfekt
Lori Lieberman | Perfect Day
(Low Swing Records)
Ein Album, das mit meinem absoluten Lieblingssong beginnt, und ich meine absolut zu dem Grade, dass die Instrumental-Version von Trompeter Richard Koch (der hier recht eigentlich nicht das Original von The Cure gecovert hat, sondern Adeles Interpretation) beim Ringtausch auf meiner eigenen Hochzeit lief, also, ein Album, das so beginnt, kann einfach nur den Perfect Day bescheren.
Drei weitere Fakten sprechen dafür. Erstens, das brandneue, auf 2.000 handnummerierte 145-Gramm-45-RPM-Vinyls limitierte Album von Singer/Songwriterin Lori Lieberman mit sechs Coverversionen und zwei Eigenkompositionen entspringt den Low Swing Studios Guy Sternbergs, den treue Leser spätestens von Yael Nachshon Levins Tigers and Hummingbirds oder Finks LowSwing Sessions kennen, wobei sich, zweitens, Letzterer auf diesem Album als Duett-Partner des Titelsongs zu Wort meldet. Und drittens ist da natürlich noch die mittlerweile 73jährige Lieberman selbst, die nicht nur mit ihrer unaufgeregten und wohlgealterten Stimme besticht, die an eine unkapriziöse, aber edle Rotwein-Cuvée aus Garnacha, Cariñena und Cabernet Sauvignon – beispielsweise Vinicola del Priorat Schwarzer Schiefer Edición Oro 2019 – erinnet, sondern darüber hinaus niemand Geringeres ist als die zart-folkige Originalinterpretin des All-time Über-Songs „Killing Me Softly“ von 1972, den Ältere (und Vintage-Liebhaber) von Roberta Flacks 1973er-Version und Jüngere von Lauryn Hills 1996er-Kollaboration mit The Fugees auf dem Schirm haben dürften – wobei die mit den Fugees musikalisch Sozialisierten auch nicht mehr zu den Jüngsten gehören, aber das ist ein anderes Thema.
Und dann sind wir auch schon beim Titelsong angekommen, dem Lou-Reed-Klassiker „Perfect Day“, der ursprünglich lediglich B-Seite von „Walk on the Wild Side“ war. Die zunächst minimalistische Akustiknummer, die den so geerdeten wie feinen Stimmen Finks und Liebermans den idealen Grund bietet, erblüht zwischendrin zu satt-lodernder Bandsoundopulenz, ohne je das sachtschunkelnde, dunkelfunkelnde Sechsachtelgroovefeel, das in erster Linie Seal-Drummer Earl Harvin stoisch zaubert, vergessen zu machen. Asketischer gibt sich der Tracey-Chapman-Klassiker „Baby Can I Hold You“, dessen Originalinterpretation ich persönlich nie mochte, der hier aber mit der einen oder anderen harmonisch neuen Nuance und einer zurückhaltenden, aber dennoch aufregenden Instrumentierung – durch Fink-Pianist Doron Segal, Shake-Stew-Bassist Oliver Potratz und die phänomenale Distortion des isländischen Gitarristen Daníel Böðvarsson (der in Berlin beispielsweise bei Laura Winklers Wabi-Sabi Orchestra oder Pranke zu hören ist) – beeindruckt, die das Stück meilenweit über die Indiefolkrock-Gitarrenballade, die es einst war, hinausheben.
„Secret Heart“ bringt einen schwingenden Midnineties-Vibe und damit eine gewisse melancholische Leichtigkeit in die Platte, womit es sich als bittersüßes Stück entpuppt, das ohne weiteres auch auf dem Notting Hill-Soundtrack zu Hause sein könnte. Geschrieben und ursprünglich interpretiert vom kanadischen Folkpop-Singer/Songwriter Ron Sexsmith, wird es hier dominiert von warmem Weh, wie es einen kurz vor Urlaubsende befällt, wenn man ein letztes Mal all jene Orte aufsucht, die einem in den vergangenen Tagen ans Herz gewachsen sind.
Reduzierte, filigran perlende Akustikgitarrenklänge, die sich nicht hinter Ani DiFranco, Feist & Co. verstecken müssen, gibt’s auf der Coming-of-Age-Eigenkomposition „Cup of Girl“, die zuerst auf Liebermans 2011er-Album Bend Like Steel erschienen ist. Das Sujet kreist, wie so oft auf diesem Album, um die Tatsache, dass es am Ende des Tages nicht die angehäuften Reichtümer, sondern die unstehlbaren Erfahrungen und die geschlossenen Freundschaften sind, was zählt.
Und so schön es ist, einmal nur die Sängerin und ihre Akustikgitarre zu hören – es ist die Kombination aus Lieberman und dieser Band, die die Magie dieser Platte ausmacht. Die lässt sich im Closer „Big Louise“ einmal mehr genießen, diesem düsteren, kafkaesken Avantgarde-Blues aus der Feder Scott Engels (besser bekannt als Scott Walker von den Walker Brothers), der so manchem noch in der getragenen Interpretation Marc Almonds im Ohr sein dürfte. Besonders Leib- und Seele-erschütternd hier die Klänge von Bassklarinettist James Scannell, die eine dunklere, ans Spätwerk von Marianna Faithful erinnernde Seite Liebermans hervorkitzeln.
Hätten wir diese nicht gehört, die Platte wäre lediglich perfekt. So aber erfährt sie einen Kreisschluss, der noch perfekter ist, auch, wenn etwas, das ohnehin schon perfekt ist, der reinen Formlehre nach unmöglich noch gesteigert werden kann. Lori Lieberman, Guy Sternberg und die phantastischen musikalischen Mitstreiter können.
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