„Ich bin kein Pianist.“
Malakoff Kowalski | Songs with Words
(Sony Classical/Sony Music)
„Das klingt ja wie Tom Waits ohne Suff“, schreibe ich verblüfft an den als Aram Pirmoradi geborenen Wahl-Berliner Musiker, Filmmusikkomponisten und Produzenten Malakoff Kowalski, nachdem er mir den vertraulichen Vorab-Stream seines neuen Albums Songs With Words zukommen ließ. Eine Bemerkung, die ihn sichtlich freut – und mir eine Einladung zum Interview nebst Whiskey-Begleitung einbringt.
Das Studio in einem Zwischenhof am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte – das übrigens das erste Berliner Studio von Guy Sternberg war und das sich Kowalski jetzt mit dem Electro-Pop-Duo 2Raumwohnung teilt – ist ein Ort, der die Außenwelt komplett aussperrt. Es gibt keine Fenster, die massive Stahltür lässt kein Geräusch durch. Würde draußen ein Komet einschlagen und Kowalski ein paar Stunden später nichtsahnend aus dem Studio kommen, wäre es die perfekte Szene eines dystopischen Science-Fiction-Films, wo der einzige Überlebende einer Katastrophe verwirrt ans Tageslicht stolpert und sich wundert, wo die Welt denn nun hin ist. Im Film würde der Held sie selbstverständlich retten.

Malakoff Kowalski ist eher ein Antiheld. Nach seiner Solopianotrilogie (2018: My First Piano, 2020: Onomatopoetika, 2022: Piano Aphorisms) tritt er mit seinen Songs With Words erstmals als Sänger in Erscheinung, während er – obgleich selbst ein probater Pianist, wie er nicht nur auf seinen letzten Alben, sondern auch auf unzähligen Filmmusiken unter Beweis gestellt hat – das Klavier dabei Igor Levit, Chilly Gonzales und Johanna Summer überlässt, mit denen er, jeweils im Duo, Texte des amerikanischen Beat-Poeten Alan Ginsberg zum Klingen bringt, und zwar montiert auf die nahezu unveränderten Stücke klassischer Komponisten von Frédéric Chopin, Robert Schumann und Claude Debussy über Gabriel Fauré, Aram Khatschaturjan und Edvard Grieg bis zu Maurice Ravel, Amy Beach (1867-1944), der ersten amerikanischen Frau, die eine Sinfonie schrieb, und die die 1920er-Jahre prägende französische Komponistin Germaine Tailleferre (1892-1983).

Unrettbar verliebt
Dass Malakoff Kowalski auch singen kann, und zwar mit einer Stimme, die ihre Wirkung über die Zeit entfaltet, bis man sich zum Plattenende unrettbar in sie verliebt, zeigt er auf dem neuen Album. Und dennoch bemerkt er ausdrücklich: „Ich bin kein Sänger“. Und, einen Satz später mit derselben Vehemenz: „Ich bin auch kein Pianist.“ Um erläuternd hinzuzufügen: „Ich habe das furchtbare Schicksal, ein Musiker zu sein. Ich bin auch sehr unglücklich mit dieser Begrifflichkeit. Das hat was Prekäres. Ich mag das Wort ,Musiker‘ nicht. Ich finde ,Pianist‘ schön, ich finde ,Schriftsteller‘ schön, ich finde ,Regisseur‘ schön, ich finde ,Geiger‘ schön, ich finde ,Harfenist‘ schön, ich finde alles Mögliche schön! Ich finde auch ,Sänger‘ toll! Oder ,Trompeter‘! Aber ,Musiker‘? Das französische ,musicien‘ hat einen ganz anderen Klang, da ist irgendeine andere Sache am Laufen.“
„Bei mir“, führt er weiter aus, „ist es eher so: Entweder schreibe ich Musik, trage sie vor, nehme sie auf, produziere sie … ich mach das ja alles allein – und auch am liebsten allein – und ich spiele auch diese ganzen komischen Instrumente und so weiter, also bin ich wahrscheinlich Musiker. Aber es gefällt mir eben nicht. Denn ich bewundere es so sehr, wenn Leute einfach nur ihr Instrument beherrschen und ansonsten nichts anderes können im Leben. Das finde das toll. Ich liebe monothematische Inselbegabungen! Danach hatte ich immer eine große Sehnsucht. Und habe sie nie stillen können, weil ich mich nie mit einem Instrument oder einer Disziplin eingehend genug befasst habe. Das ist ein großer Makel. Aber ich bin dafür zu anderen Dingen in der Lage. Ich glaube, ich bin dazu in der Lage, Alben herzustellen. Ich bin ein richtiger Albummensch.“

Wortvertrauter Klangkosmosbauer
So nachspürend und bedacht, wie er sich an Begrifflichkeiten herantastet, stets auf der Suche nach dem noch besseren, noch passenderen Wort, verfährt Malakoff Kowalski auch mit seiner Musik – selbst, wenn der Ursprung der Songs With Words keiner akribischen Suche, sondern einem glücklichen Finden geschuldet ist. Zufall? „Ich glaube, das nennt sich Fügung. Oder Magnetismus. Oder kosmisches Glück“, sinniert Kowalski, wenn er beschreibt, wie sich die Texte Ginsbergs nahezu von selbst, wie unaufhaltsam voneinander angezogen, über die Miniaturen klassischer Komponisten legten. So, als hätten sie all die Jahre nur aufeinander gewartet.
Alles begann mit einem Nachtstück von Schumann, gespielt in der sehr langsamen Aufnahme eines unbekannten Pianisten. In dieser entdeckte Kowalski plötzlich den Geist von Elvis Presley, als er über einer bestimmte Nachtstück-Stelle mit einem Mal eine Zeile von „Can’t Help Falling in Love“ vor seinem geistigen Ohr hörte. Und wie das nun einmal so ist: Wenn man etwas erst einmal auf eine bestimmte Weise hört, kann man es nie wieder enthören. „Immer, wenn ich seither das Stück hörte, musste ich an dieser Stelle an Elvis denken“, erinnert er sich. „Da auch der ganze Rest sehr songhaft war, entwickelte ich bald das Bedürfnis, etwas zum ganzen Stück zu singen. Und wenn du etwas singen möchtest, brauchst du nun einmal ein paar Zeilen. Das ist eine technische Notwendigkeit. Irgendwas musst du ja singen!“ Nur was?
Die Antwort lag buchstäblich auf dem Schreibtisch. Ein Gedichtband von Allen Ginsberg, Relikt eines früheren Filmprojekts, schlug sich fast wie von selbst auf. Und siehe da: Die erste Dichterzeile von „Refrain“ passte erstaunlich präzise auf das Schumann’sche Klavierstück. „Silbe für Silbe“, sagt Kowalski über diese beinahe unheimliche Passgenauigkeit. Und so ging es weiter. Zeile für Zeile, Strophe für Strophe.
„Dann habe ich das ein paarmal zu der bestehenden Aufnahme mitgesungen. Und dachte nur, heiliger Bimbam, das klingt wie ein Tom-Waits-Song! Vielleicht auch wie ein Stück, das Bill Evans geschrieben haben könnte. Hätte er mit Jim Morrison einen Song gemacht.“ Da die Aufnahme ja bereits bestand, hatte Kowalski gar nicht die Möglichkeit, den Schumann auch nur in einem einzigen Ton zu verändern. Und auch das Gedicht passte exakt so, wie es war. „Da wusste ich: Ich bin hier auf eine Sache gestoßen. Das passiert nicht ständig.“
Kowalski aber wollte es noch einmal passieren lassen. Denn obwohl er fest an die Fügung glaubt, fürchtet ein Teil in ihm, dass auch einfach nur der Zufall seine Hände im Spiel gehabt haben könnte. Die Folge: „Ich hatte mit einem Gedicht von Ginsberg Glück. Dann habe ich ein weiteres Stück mit Ginsberg probiert, denn ich wollte wissen, ob sich noch einmal wiederholen lässt, was schon einmal geglückt ist. Kann man das noch einmal herstellen?“ Und wieder fand Kowalski ein Stück, das wie maßgeschneidert Silbe für Silbe auf Chopins Prélude No. 20, Opus 28 in c-Moll passte. „Ich musste nur zwei Verse wiederholen. Aber Wiederholungen sind okay. Wiederholungen betrachte ich als erlaubt. Und so waren es also auf einmal zwei Songs von Ginsberg!“
Und was macht man, wenn etwas zweimal gut geht? „Dann probiert man es ein drittes Mal“, flüstert er, als verräte er ein Geheimnis. „Und dann probierst du es ein viertes Mal. Bis du irgendwann merkst: Diese Texte scheinen eine Pforte zu öffnen, einen Kanal ins Universum, da sollte man dran festhalten.“ Auch aus Vertrauen zum Material. „Wenn man dem Material wirklich vertraut, weiß man genau, was zu tun ist.“ Und dann? „Dann kommt die Arbeit.“ In einem aufwändigen Montageprozess verbindet Malakoff Kowalski Stück um Stück Ginsbergs Lyrik mit den klassischen Kompositionen.

Immer schon gewesen
Insgesamt sechs Jahre hat die Fertigstellung von Songs With Words gedauert. Kein Wunder: Kowalski wollte nichts verändern, sondern nur das Offensichtliche sichtbar machen. Keine Eingriffe, (fast) keine Arrangements, nur künstlerisches Kombinieren und Kuratieren – ein geradezu alchemistischer Prozess, der aus zwei bereits vorhandenen Dingen, aus zwei autonomen Kunstwerken, etwas völlig Neues entstehen lässt. Etwas Zeitloses. Etwas, das klingt, als sei es immer schon gewesen.
Dass er dabei nicht am Klavier zu hören ist, versteht sich für Kowalski von selbst. Er habe das Glück gehabt, mit den „drei wahrscheinlich besten Pianisten des Planeten“ zusammenarbeiten zu dürfen, von denen jeder eine eigene Klangsprache mitbringe. Levit: „radikal und virtuos“, Gonzales: „kompositorisch denkend“, Summer: „improvisierend, mit einem Jazz-Instinkt für klassische Formen“. Kowalski verneigt sich regelrecht vor den Fähigkeiten seiner Klavierbegleiter, die ihm längst zu Freunden geworden sind. „Ich könnte das hier gar nicht spielen“, räumt er auf meine Frage hin ein. „Außerdem sollte man sowieso nur gleichzeitig Klavier spielen und singen, wenn man Nina Simone heißt. Oder Ray Charles.“
Das ist kein Understatement – und schon gar kein Fishing for compliments. Der Tonpoet scheint regelrecht aufzugehen in der Rolle desjenigen, der den Raum öffnet, kuratiert, orchestriert – und dann die Bühne anderen überlässt. Vor der habe er als Pianist ohnehin immer „furchtbare Angst“ gehabt. Als Sänger dagegen nicht, betrat er die musikalische Bühne zu Teenagerzeiten mit einer Band doch genau in dieser Rolle. Als singender Wanderer zwischen Klang und Wort geht es ihm nicht um Virtuosität. Nichts an seinem Gesang will gefallen – und doch wohnt ihm eine eigenartige, unaufdringliche Schönheit inne, die sich erst mit fortgeschrittener Hörzeit erschließt. Dann aber gräbt sich diese Stimme so tief in die Eingeweide, dass sie sich dort nie wieder entfernen lässt. Dem Nichtgefallen ist man am Ende nur eins: vollkommen verfallen.
Zwischenweltenhüter mit behutsamer Entschiedenheit
Was die Songs With Words neben ihrer schier unglaublichen Entstehungsgeschichte und Kowalskis hypnotischer Stimme so besonders macht, ist ihre Stillheit. Hier wird kein Statement gesetzt, es gibt kein Spektakel, keine Sensationen. Nur intimen Dialog, eine Einladung gar, sich in diesem musikalisch-poetischen Kosmos zu verlieren. Und wenn Kowalski sagt, dass er sich mit Begriffen wie „Musiker“ schwertut, dann vielleicht genau deshalb: Weil es ihm nicht um Kategorien geht, nicht um Rollenbilder, sondern um das, was dazwischen liegt. Um das, was man nicht benennen kann.
Kein Wunder, dass er als stiller Hüter seiner leisen Welten bekennender Nachtwerker ist – der aber durchaus auch schon mal 15 Stunden Schlaf braucht. Am liebsten im Studio unter dem Flügel, das fühle sich so geborgen an wie in einer Höhle. Jeder, der ihn in seinem Reich besucht, kommt sich – überwältigende Offenheit hin, gastfreundliches Getränketeilen her – wie ein Eindringling vor. Man möchte Malakoff Kowalski einfach nur in Ruhe lassen in dieser selbstgebauten und -gewählten Raum- und Zeitkapsel, damit er weiter mit der ihm eigenen behutsamen Entschiedenheit gegen die Glätte der Gegenwart anarbeiten kann. Und dabei nicht versucht, laut zu sein, sondern wahrhaftig. Lieber in eine Pause hineinhört, als sie vorschnell zu füllen.
Songs With Words ist ein Album, das Zeit braucht. Und eines, das Zeit schenkt. Es stellt keine Fragen, es gibt keine Antworten – es ist einfach. Und genau das macht es so kostbar. Genau wie seinen Schöpfer selbst, der lieber ein leises Album mit großen Gefühlen macht als ein lautes mit kleinen. Vielleicht ist das die wahre Kunst. Oder, wie er selbst sagen würde: Vielleicht ist es einfach nur das, was eben gemacht werden musste.