Prüfe alles und behalte das Gute
LIUN | Does It Make You Love Your Life
(Heartcore Records)
Eine Frage, die man sich viel öfter stellen sollte, werfen LIUN + The Science Fiction Band – das „Synthpop für die Menschen von übermorgen“-Projekt von Lucia Cadotsch und Wanja Slavin – auf ihrem dritten Album auf: Does it make you love your life?
Tue ich, was ich tue, wirklich gern und aus freien Stücken? Oder aus Zwang und/oder Automatismus? Passt das überhaupt noch in mein Leben? Macht mich die morgendliche Tasse Löskaffee, eine Angewohnheit aus Studententagen, noch froh? Wäre ich nicht viel glücklicher, morgens dem Blubbern einer Mokka auf dem Herd zu lauschen? Oder wäre die Zeit dieser Kaffeebereitung einfach nur zusätzlicher Stress in meiner streng getakteten Morgenroutine? Es geht ums Hinterfragen alltäglicher Gewohnheiten: Muss das eigentlich so sein oder mache ich das nur, weil man das eben nun mal so macht? Die Jahreslosung meines aktuellen Hauptbrötchengebers bringt’s auf den Punkt: Prüfe alles und behalte das Gute.
Nach Time Rewind (2019, Enja & Yellowbird Records) und Lily of the Nile (2022, Heartcore Records) jedenfalls fährt das mit Cadotsch und Slavin zusammengefundene Match made in Heaven jetzt ein vielschichtiges, elektroakustisches Studioalbum mit dreizehnköpfigem Streichensemble auf.
„Faye Dunnaway“ überrascht mit allerlei Distortion und einer collagenartigen Struktur, bei der mal beruhigende Streicherfronten über aufwühlendem D&B-Grund, mal unruhige Rührtrommeln, mal die so sirenengleich wie eindringlich gehauchte Titelfrage Does it make you love your life? das Sagen haben. Cadotsch und Slavin haben, das wird hier schon klar, Songs in Songlänge, jedoch ohne Songstruktur kreiert, Sinfonien für die Hosentasche im entsprechenden Miniaturformat.
Die nervösen „Letters“ scheinen mit ihrem enervierendem Dauerloop im Hintergrund, der sich wie eine nimmermüde Leierkastenfigur immerfort perpetuierend in die Gehörgänge bohrt, per Eilpost verschickt worden zu sein: Hier rasselt’s und klingelt’s und schrappt’s und fiept’s, konterkariert einzig von den erdigen Vocals der Cadotsch.
Düster und symphonisch schleicht sich die „Katze“ an, abgelöst von minimalistischem Tastenspiel und einem Vokalteil, der wie aneinandergeklebt wirkt, bevor sich das Piano als Begleitung der Vocals wiederfindet und die anfängliche Cinephonie Noir in den dunklen Akkorden erneut aufscheint, bis Cadotsch und die Streicher im Verbund eine zunehmende Dringlichkeit, ja: Unbedingtheit entwickeln, die auch durch den spieluhrartigen Schlussteil nicht aufgehoben wird.
Kurz, ganz kurz nur ist Cadotschs Stimme nach der gedämpften Einleitung mit präpariertem Piano auf „Daddy Longleg“ pur, ohne allesüberlagernde Wall of Orchestersound zu hören – die geht bei diesem Projekt sonst nämlich allzu oft im Mix unter, der hier auch schon bald wieder vollorchestriert und opulent geschichtet übernimmt. Würde man das Stück akustisch downstrippen, es klänge wie eine Tom-Waits-Ballade, derweil die vielen, die allzu vielen Synthieschichten immer ein wenig an Plastikspielzeug und Kaugummiautomat erinnern.
Die in den Sonnenuntergang cruisenden Helden wären ein schöner Schlusspunkt, den Cadotsch und Slavin mit „So Long“ aber noch toppen: Was sich seltsam unwirklich, schwebend, gar sphärisch anlässt, irrlichternd wie ein surreales Gemälde, wird zunächst von Cadotschs Gelassenheit geerdet, bis auch sie sich vom Celestialen verführen lässt, mit der Musik in die Stratosphäre abhebt und dort mit sanftem Knall entschwindet. Lässt mich das mein Leben lieben? Aber sowas von!
Kaufen, hören, glücklichsein.