Musik-Tipp: Lady Blackbird – Slang Spirituals

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Es ist kompliziert

Lady Blackbird | Slang Spirituals

(Label: BMG)

Schwer zu glauben: Dass das gefeierte Black Acid Soul von Lady Blackbird vor zwei Jahren vor allem mit minimalistisch-düsteren Akustikballaden bestach, in denen die Vokalvirtuosin selbst ihre schmerzhaftesten Emotionen aufs Schönste ausleben konnte, ist im Grunde Zufall. Nachdem sie zunächst gemeinsam mit dem Grammy-nominierten Produzenten Chris Seefried an prunkvollen Pop-Krachern tüftelte, legte ihr dieser den von ihm geschriebenen Song „Nobody’s Sweetheart“ vor – ein Stück von trauriger Eleganz (oder eleganter Traurigkeit, je nachdem) und bat sie um eine Gesangseinlage. Das Ergebnis haute die beiden glatt um, oder, wie Seefeld es ausdrückt, „knackte den Code“, sodass sie beschlossen, alles bislang Aufgenommene ebenfalls radikal zu reduzieren.

cover-Lady-Blackbird-Slang Spirituals

Dezimierte Akustik-Edelsteine in Moll statt prunkvolle Pop-Kracher

Ob nun das Nina-Simone-Cover „Blackbird“, das der als Marley Munroe geborenen Künstlerin ihren neuen Namen gab, ob „It’s Not That Easy“, „Fix It“, „Five Feet Tall“ oder das grandiose – nur auf 7-Inch-Vinyl als A-Seite von „It’s Not That Easy“ erhältliche und nicht auf dem Album veröffentlichte – „Did Somebody Make A Fool Out You“ [click: youtube Video], das mich immer ein wenig an das Live-Duett „You Do Something To Me“ von Paul Weller und Celeste [click: youtube Video] erinnert – letzten Endes dominierten dezimierte Akustik-Edelsteine in Moll die Platte. Dass die Stücke ursprünglich anders geplant waren, hörte man ihnen nur noch durch ferne Blaxploitation-Echos im Hintergrund an.

Erst während der nachfolgenden Tourneen bekamen die Hörer ein klareres Bild der anderen Seite von Lady Blackbird, die sich dort eher als Rockröhre denn als Soul-Queen gebärdete – und es sichtlich genoss. Kein Wunder, dass auch der an einem Freitag, den 13. veröffentlichte Nachfolger Slang Spirituals im Sinne eines Zurückkehrens zum ursprünglich angedachten Sound dann auch so gar nicht bittersüß-soulig, sondern rotzprotzrockig opulent, um nicht zu sagen: bombastisch daherkommt. Soundtechnisch schöpft Munroe hier aus dem Vollen – was mit ihrer Bühnenfigur, die an eine mal silbrig, mal stählern glitzernde Amazone, ja: eine hyperfeminisierte Superheldin erinnert, auch deutlich besser Hand in Hand geht.

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Lady Blackbird [Foto: Christine Schwan]

Als hätte sich das Sun Ra Arkestra mit Phil Spector verabredet

Gleich der reich orchestrierte Opener „Let Not (Your Heart Be Troubled)“ blüht und pulsiert derart prachtvoll, als hätte sich das Sun Ra Arkestra mit Phil Spector verabredet, die Wall of Sound 2.0 zu bauen. Der perfekte Soundtrack für einen Road Trip! Keinesfalls dahinter verstecken muss sich „Like A Woman“, das mit treibenden Funk-Rhythmen, Highspeed-Stakkato-Piano-Salven, überwältigendem Gospel-Arrangement und satter Love-Power in Sachen Ohrwurm sogar noch einen draufsetzt. Ohne uns eine Verschnaufpause zu gönnen, mutiert auch der Uptempo-Dancefloor-Burner „Reborn“, der sich neo-motownesk à la Amy Winehouse anlässt, schnell zur orgiastischen Klangorgie mit I Will Survive-Message.

Wie gut, dass mit „Man On A Boat“ endlich eine Ballade Raum zum Durchatmen schafft, wenn auch eine für Munroe untypisch folkige, die sich so gar nicht ins bisherige Klangbild einfügen will – ebensowenig wie das gut siebenminütige „When The Game Is Played On You“, das sich zunächst ausnimmt wie ein harmloses Retro-Soul-Stück otisreddingscher Provenienz, das zuviel Psychedelica erwischt hat, zur Mitte hin dem Acid Jazz der Brand New Heavies zuneigt und später dennoch einen zunehmenden Sog entwickelt, der die anfängliche Ratlosigkeit vergessen macht.

Die bricht sich aber mit „The City“ ihre Bahn. Sollte hier etwas im Sinne von Marvin Gayes „Trouble Man“ kreiert werden, das dann letztlich aber eher an Gloria Gaynor erinnert? Gut, dass der mit dem Chorus einsetzende (Mit-)Stampfrhythmus jegliches kritische Gedankengut im Keim erstickt – nur, um bei der nächsten Strophe wieder Überhand zu gewinnen. Ein Stück, bei dem sich Hörerherz und -kopf eine beständige Schlacht liefern, während „Matter of Time“ als klassische Soulnummer, wie sie die junge Aretha Franklin nicht schöner hätte singen können, nichts anderes machen könnte als gute Laune, würde sie zum Ende hin nicht mit jeder weiteren Wiederholung der Chorus-Zeile strapaziöser und strapaziöser rüberkommen.

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Lady Blackbird [Foto: Christine Schwan]

Allein inmitten terzseligen Frohsinns

Auch das groovebetonte „If I Told You“ mit seinen Hand Claps reißt als typische Midtempo-Soul-Gospel-Nummer nicht vollends mit. Vielmehr beschleicht einen das Gefühl, inmitten einer fröhlichen Party festzustecken, deren andere Gäste nichts unversucht lassen, einen zum Mitfeiern zu motivieren, während man selbst davon seltsam unberührt bleibt und einfach nur nach Hause will. Ein Gefühl, dass sich mit jeder weiteren Albumminute noch intensiviert, etwa auf „No One Can Love Me (Like You Do)“, das die Kitschgrenze längt überschritten hat und es an allem fehlen lässt, das die Herzschmerz-Balladen des Vorgängeralbums auszeichnete. Befremdlich genug: Stattdessen ist hier in den Strophen ein Schunkeln zu vernehmen. Ohnehin dominiert ein absonderlich terzseliger Frohsinn, um nicht zu sagen: eine klingglöckchenklingelnde Volkstümlichkeit, die den Text – und vermutlich auch die Absicht – des Stücks gründlich konterkariert.

Unentschieden gibt sich die Melodie vom autobiografischen „Someday We’ll Be Free“ mit einem unangenehm einlullenden Ende, schwurbelig der Closer „Whatever His Name“, der an ein bekanntes Stück der (zu Recht!) gefürchteten Gattung Power (Rock) Ballade – man denke hier an Tina Turner, Jennifer Rush oder Bonnie Tyler –erinnert, welches allein die angepsychten Acid-Untergründe davon abhalten, völlig furchtbar zu sein. Schade um den beatpoetischen Text, den ich mir im Soundgewand Cassandra Wilsons wünsche! Nach spätestens vier Minuten hab ich den Kanal voll, derweil sich das Stück über geschlagene achteinhalb Minuten zieht und nichts als blanke Enervierung hinterlässt.

Es bleibt schwierig

Ach Menno!, möchte man leicht schmollend rufen. Was soll man mit dieser Platte nur machen? Es bleibt schwierig. Man kann richtiggehend zusehen, wie ihre Energie entweicht. Ein Erklärungsversuch: Die Slang Spirituals verzücken mit derart fulminantem Auftakt, dass es vermutlich in der Natur der Sache liegt, ihr Pulver schon zu Beginn vollständig verschossen haben – denn was soll nach den ersten drei Übersongs auch noch kommen?

Aber vielleicht wird live ja auch diesmal wieder alles anders. Davon überzeugen (oder eben auch nicht) kann man sich zum Beispiel hier:

21.11.2024 Köln: Stadthalle Mühlheim
22.11.2024 Hamburg: Mojo Club
24.11.2024 München: Muffathalle
25.11.2024 Berlin: Haus des Rundfunks (Großer Sendesaal)
01.12.2024 Worpswede: Music Hall

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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