Zwischen Schmachten und Schäkern
aron! | Cozy You (And Other Nice Songs)
(Verve Records)
Billie Eilish (*2001) ist Fan. Laufey Lín Jónsdóttir (*1999) auch. Ohnehin scheinen (nicht nur die berühmten) Twenty-Somethings einen Narren an ihrem Generationsgenossen aron! gefressen zu haben. Sei es, weil er die Musik ihrer Großeltern, ach was: Urgroßeltern für sie zu neuem Leben erweckt, sei es aufgrund seines großen Talents und guten Aussehens, die sich mit einem unfassbaren Bühnencharme paaren, von dem wir uns am 23. Juni 2025 im Berliner Universal Music Event Space persönlich überzeugen konnten.

Fest steht: aron!, der gerade erst eine EP vorgelegt hat, versteht es, dem Publikum das gewisse Etwas zu geben, nach dem es sich – ob bewusst oder unbewusst –schon lange gesehnt hat. Die Kommentare unter dem auf meinem YouTube-Kanal hochgeladenen Video sprechen Bände: „I’m a 23 year old male from New Jersey raised in Florida and nothing has quite touched my souls as much as this in a long time. Not that age matters much when it comes to the matter but 100%“, schreibt ein User, und ein anderer kommentiert: „Whoever filmed this is so lucky to have been there in person“, während sich ein japanischer Fan Emoji-reich begeistert: „I’m a fan from Japan! I’m so happy I got to see this video. Thank you for sharing it 🫶 I really hope to see you live someday, Aron!“
Was also ist dran an dem erst 22jährigen, Jazzgitarre spielenden Singer/Songwriter Aron Stornaiuolo? Er vereint auf seiner beim renommierten Label Verve Records erschienenen Debüt-EP Cozy You (And Other Nice Songs) sechs Stücke, die allesamt so klingen, als hätte man sie schon einmal irgendwie, irgendwo gehört, etwa in Form etwas weiter hinten eingereihter Stücke des All American Songbook oder als lange verschollene B-Seiten der alten Klassiker. Spoiler: Die Stücke stammen allesamt aus aron!s eigener Feder, lediglich der Closer teilt sich die Urheberschaft mit Jake Sonderman. Dazu ist die gesamte EP von aron! selbst arrangiert und produziert.
Die Leidenschaft des in Charlotte, North Carolina geborenen und aufgewachsenen jungen Künstlers für nostalgische Klänge ist dem Umstand geschuldet, dass er als Teenager einem achtzigjährigen Gitarrenlehrer mit entsprechender Repertoire-Vorliebe in die Hände gefallen ist – und sich bald schon beim regelmäßigen Vorspiel der Evergreens von Nat King Cole und Frank Sinatra für Bewohner von Altenheimen und Demenzpatienten wiederfand. Er studierte klassische Komposition an der North Carolina School of the Arts und später, mit einem Vollstipendium, Jazzgesang und Komposition für Film an der University of Miami.
Auf Cozy You (And Other Nice Songs) präsentiert aron! amerikanischen Vintage-Pop irgendwo zwischen 1930 und 1955, zwischen Frühstücksjazz und Broadway Musical, zwischen Schmachten und Schäkern. Manchmal auch Easy Listening mit leichtem Samba- oder Bossa-Einschlag, immer aber mit nostalgischer Wohlwühlgarantie für Ältere – und staunendem Neuentdecken der guten alten Klänge für Jüngere. Dass aron!s große Vorbilder Heroen wie Frank Sinatra und Chet Baker sind, ist in seinen klassischen Melodien, die er mit ewigen Themen paart, unüberhörbar, direkt ab dem auftakt- und titelgebenden „Cozy You“. „Ich habe mich“, sagt er über seinen zeitlosen Singer-Songwriter-Jazz, „schon immer für die echten Romantiker der alten Schule interessiert. Die Leute machen heute dasselbe durch wie damals. Liebeskummer ist Liebeskummer, und Liebe ist Liebe.“
Nach dem kuschelig-leichten „Table For Two“ zeigt der Künstler auf „I Think About You Lots“, das aus einer Zeit erzählt, als man noch Briefe anstatt Textnachrichten schrieb, wie Vermissen in Style geht. Der Lush Life-ähnliche Schmeichler „A Life With You“ ist das wohl am wenigsten eingängigste, ernsteste Stück der EP, und dabei gleichzeitig die stärkste Chet-Baker-Referenz, wo sich aron! als Crooner von Format erweist, stilecht begleitet von Peter James am Piano, Aidan McCarthy am Bass, Zach Levine an den Drums, und Nolan Slate an Klarinette, Alt- und Tenorsaxophon – die allesamt klingen, als hätte sie zuviel Zeit mit der Plattensammlung ihrer Väter verbracht, die diese wiederum von ihren Vätern geerbt haben, derweil Ben Mini den genretypischen Pfeifer gibt.
Tändelnder und mit dem für den damaligen amerikanischen Schlager so typischen Augenzwinkern kommt „I Hate It“ daher, derweil „Eggs In The Morning“ die wohl unverhohlensten Anleihen am klassischen Repertoire nimmt – doch je mehr man sich den Kopf zerbricht, wo man diese Phrase oder jene Figur wohl schon einmal gehört haben könnte, desto weniger lässt sich eine konkrete Referenz ins Gedächtnis rufen.
Nach nicht ganz zwanzig Minuten wäre der ganze Spaß auch schon wieder vorbei, würde man die EP nicht wieder und wieder durchlaufen lassen, bis einem die Stücke letzten Endes so vertraut sind, als wären sie tatsächlich Part des tradierten Real Book-Erbes und sich erschließt, weshalb sich aron! mit Ausrufezeichen schreibt, denn es gilt, ihn gut im Auge (und natürlich Ohr) zu behalten. Da kommt noch was!