Einen kräftigen Stereo-Verstärker, den wünscht sich so mancher, der elektrisch anspruchsvolle Lautsprecher betreibt. Auch ich gehöre zu dieser Kategorie Menschen, denn meine eigenen Standlautsprecher sind diesbezüglich auch nicht gerade ohne und können in den unteren Lagen schon mal einen kräftigen Tritt in den Hintern vertragen. Frank Urban, so seine Aussage am Telefon, hätte da was Interessantes im Vertrieb anzubieten. Auch der in diesem High End Verstärker integrierte D/A-Wandler sei nicht ohne. Schnell wurden wir uns also einig, und so schickte er mir den Atoll IN 300 zum Test.
Atoll IN 300 – Die Technik
Da der Titel dieses Tests unter anderem „Die Kraft der zwei Herzen“ heißt, komme ich auch gleich darauf zu sprechen, um den werten Leser nicht in Ungeduld warten zu lassen. Zwei fette Ringkerntrafos befinden sich im Inneren des hochwertig aufgebauten Verstärkers, daher die gewählte Überschrift. Unter anderem darauf beruht also das Gewicht von respektablen 15 kg. Aber auch die ansehnliche Anzahl von Kondensatoren, Atoll hat aufgrund der schnelleren Reaktionsfähigkeit ein Dutzend kleinerer, statt langsamer größerer gewählt, trägt ihren Teil dazu bei.
Aufgebaut ist der Atoll IN 300 in Doppel-Mono, was ich für die Preisklasse von 3.000 Euro schon beachtenswert finde. Dies betrifft dann natürlich auch die Vorstufe dieses Verstärkers, die in Class-A aufgebaut ist. Aber auch die Anzahl der MOS-FETs, die auf einen Röhren ähnlichen Klang gezüchtet sind, ist nicht ohne, montiert sind diese Treiber dann an kräftigen Kühlkörpern. Zweimal 150 Watt an 8 Ohm beziehungsweise zweimal 260 Watt an 4 Ohm liefern diese Transistoren, da sollte schon was gehen dann. Das Gehäuse des Amp, soviel schon mal vorweg, ist trotz A/B-Betrieb und teilweise sehr kräftiger Pegel lediglich handwarm geworden.
An der Rückseite des IN 300 hat Atoll einen amtlichen D/A-Wandler eingebaut. PCM bis 32Bit/384 kHz und DSD bis 5.6 MHz (DSD128) lassen sich hier per USB-B verarbeiten. Je zwei optische und koaxiale Eingänge bis PCM 24/192 Bit/kHz gibt es ebenfalls. Als Dreingabe gibt es noch einen Bluetooth-Eingang, dieser verbirgt sich hinter einem schwarzen Knopf an der Rückseite des Verstärkers. Aufmerksamen Betrachtern werden die beiden leeren orangen Steckplätze auf den Bildern aufgefallen sein. Hier lässt sich der optional erwerbliche Phono-Verstärker P50 oder P100, den ich leider nicht mitgeordert habe, einstecken. Geschaltet wird dieser dann über den AUX-Eingang.
Sollte wider Erwarten die Leistung des IN 300 nicht ausreichen, oder Bi-Amping gewünscht werden, ist dies natürlich über die Pre-Out Ausgänge möglich. Auch das Einschleifen des Atoll IN 300 in eine Surround-Anlage ist per Bypass möglich.
Schlicht und elegant ist die Front des Atoll IN 300 gestaltet. Beim Druck auf den linken Knopf wird der Verstärker ein- und ausgeschaltet, per Drehen erfolgt die Quellenwahl. Der rechts vorhandene Drehregler dient wie so häufig bei dieser Gerätegattung der Lautstärkeregelung. Dieser Lautstärkeregler bedarf aus meiner Sicht einer besonderen Erwähnung, lässt er sich doch auch bei leisen Pegeln sehr feinfühlig bedienen, einer Eigenschaft, die viele heutige Verstärker leider vermissen lassen. Die Balance-Regelung des IN 300 erfolgt dann über das Drücken des Lautstärkereglers. Auch einen Kopfhörer-Ausgang hat der Franzose im Angebot, die Klinke dazu befindet sich unten links auf seiner Front.
Atoll IN 300 – Technische Daten
- Symmetrischer Doppel-Mono-Aufbau
- Durchgehend diskreter Aufbau
- MOS-FET Ausgangsstufe
- Diskret aufgebaute Class-A Vorstufe
- 2 Ringkerntrafos
- Vorstufenausgang für Bi-Amping
- Bypass-Eingang
- USB-Eingang
- Kopfhörer-Buchse 6.35 mm
- Um Phono Modul P50/P100 erweiterbar
- Leistung Wrms / Kanal / 8 Ω: 150 Watt
- Leistung Wrms / Kanal / 4 Ω: 260 Watt
- Musikleistung: 300 Watt
- Kondensatorkapazität (µF): 86400
- Anzahl der Eingänge: 5 + 1 Bypass
- Anzahl der Eingänge symm. XLR: 1
- Anzahl der Ausgänge: 2 Pre-Out
Atoll IN 300 – Der Klang
Draußen regnet es, wie es gelegentlich im Sommer 2021 vorkommt… Zeit für ruhige und besinnliche Musik ist angesagt, das Tord Gustavsen Trio mit dem Album The Ground passt da doch ganz gut. „Edges Of Happiness“, wörtlich übersetzt „Kanten des Glücks“, na ja, hör ich doch lieber auf die Musik… So kantig hört sich das aufspielende Piano nun überhaupt nicht an, sondern eher schön rund und voll. Dafür benötigt der Atoll IN 300 allerdings ein wenig Anlaufzeit, so Frank Urban vom Vertrieb am Telefon. Auch die Bedienungsanleitung des Vollverstärkers weist fairerweise darauf hin.
Nach dem Aufwärmen geht Tord Gustavsen das Spiel erst recht locker von den Fingern, ich sehe sie leicht und unangestrengt über die Tasten fliegen. Leicht warm abgestimmt und schön farbig ist das Tastenspiel. Dazu streichelt der Besen von Jarle Vespestad Sidemen zärtlich das Becken. Das feine Anschwellen und Ausklingen der einzelnen Stahlfasern ist mir selten so aufgefallen wie jetzt beim Atoll IN 300. Begleitet werden die beiden von Harald Johnsen und seinem Kontrabass. Der Musiker greift auch schon mal kräftiger in die Saiten seines Instruments, überdeckt aber seine Kollegen nicht. Schön, wie übersichtlich der Gallier dies alles vor mir aufbaut.
Auch deutsche Musiker können den Blues, so zum Beispiel Christian Willisohn, toll sein Album Hold On. Toll wie voll und warm das Saxophon beim ersten Titel einsteigt. Schön herauszuhören ist auch, wie das Sax gelegentlich ein wenig knorrig angespielt wird. Den typischen Charakter des Holzblasinstruments überträgt der Atoll IN300 gekonnt ins heimische Wohnzimmer. Und dann marschiert er so richtig los, der Blues, bei „Little Angel“. Die Füße geraten ins wippen beim klimpernden Klavierspiel, und ich trete imaginär zusammen mit dem Interpreten auf die Pedale. Was mir beim Hören nebenbei so auffällt: Die Aufnahme hört sich nicht so künstlich an wie sonst oft bei Stockfisch. Ob das am klanglichen Charakter des IN 300 liegen mag?
Mit dem für ihn so typischen Gitarrenspiel beginnt Mark Knopfler bei Altamira vom gleichnamigen Album. Diese sphärischen Klänge, ich kann mich nicht dagegen wehren, lassen meine Augen doch ein wenig feucht werden. Wie die Gitarre, die mit ihrem Spiel an eine Zitter erinnert, auf dem Klangteppich des begleitenden Orchesters zu schweben scheint, wow. Dies zieht sich weiter so durch die nächsten Lieder. Wenn dann noch die Streicher und die Flöte dazu kommen, tauche ich vollends ab. Toll, wie dieser Verstärker mit der Musik umgeht. Mit der Tiefen- und Breiten-Staffelung der verschiedenen Instrumente geht der Atoll bestens um, klasse wie ich nachvollziehen kann, wer gerade wo spielt.
Aus meinen Träumen werde ich dann jedoch jäh beim“Dream Of A Bison“ gerissen, fast komme ich mir vor wie im Jurassic Park! Da geht es dann ordentlich rund, wenn Evelyn Glennie ihre verschiedenen Schlaginstrumente bearbeitet. Wie das knallt und schießt, ich bin begeistert! Danach geht es wieder ruhig weiter. Ein tolles Album, das Altamira, eine ganze Weile höre ich mich noch durch bevor es wieder konzentriert weitergeht.
„Dream Of A Bison“ hat mich nun doch neugierig gemacht. Was hat der Atoll IN 300 untenrum drauf, wie geht er mit Musikmaterial um, dass nach Power verlangt? Dafür ziehe ich einen Klassiker aus dem Hut, „Jazz Variants“ von The O Zone Percussion Group. Das Stück sprüht nur so vor Dynamik, die leise und feine Triangel und im Gegensatz dazu diese kräftigen und definierten Paukenschläge. Der IN 300 gehört zu der Sorte Verstärker, die meine im Tiefton doch recht anspruchsvollen Standlautsprecher mit am besten im Griff haben. Gnadenlos nehmen sie die Tieftöner in die Zange. Ich komme mir vor wie bei des Metzgers üblichen Frage: Darf es ein wenig mehr sein? JA!!! Nur 150 Watt je Kanal? Mir kommt die Kraft dieses Verstärker schier endlos vor…
Mit dem Album Musik wie von einem anderen Stern von Manger führe ich mir dann auch die Digitalsektion des Atoll IN 300 zu Gemüte. Und egal ob ich die Musik nun direkt vom Musikserver über USB-B zuführe, oder koaxial über den CD-Spieler. Klangliche Unterschiede zu meinem eigenen Netzwerkplayer vernehme ich keine, mein Respekt nach Frankreich. Wer sich diesen Vollverstärker zulegt, benötigt definitiv keinen separaten D/A-Wandler mehr.
Atoll IN 300 – Fazit
Bereits technisch begeistert der französische High End Vollverstärker Atoll IN 300 mit seinem diskreten und symmetrischen Doppel-Mono-Aufbau. Dazu kommt der vollwertige integrierte D/A-Wandler, der eine externe Lösung überflüssig macht. Wie der Franzose mit der Feindynamik umgeht, Chapeau! Dazu spielt er leicht vollmundig und klangfarbenreich. Auch mit schnellen Impulsen geht er mühelos um. Dazu kommt eine endlose Energie, mit der dieser Verstärker jeden noch so anspruchsvollen Lautsprecher in die Zange nimmt.
Im Test
High End Vollverstärker
Atoll IN 300
Preis: 2.800 €
Größe: 44,0*10,6*36,0 cm
Gewicht: 15 kg
Front: Aluminium Silber oder Schwarz
Optionale Erweiterungen
Atoll P 50 MM Modul: 50 Euro
Atoll P 100 MM/MC Phono-Modul: 150 Euro
Vertrieb
AUDIUM / Visonik
Catostr. 7b
12109 Berlin
Tel.: +49 030 613 47 40
Mail: kontakt@visonik.de
Web: www.audium.com/
Mitspieler im Test
Quellen digital – Netzwerkspieler Cambridge Audio 851N, CD-Spieler Cambridge Audio 851C, Musikserver Innuos ZEN MK.III
Quellen analog – Plattenspieler Rega Planar 6 mit MC-Tonabnehmer TAD Excalibur Black, Phono MM- & MC Verstärker Trigon Vanguard III, Plattenspieler Sonoro Platinum mit MM-Tonabnehmer Ortofon 2M Red
Verstärker – Vorverstärker Cambridge Audio 851E, Endverstärker Cambridge Audio 851W, Vollverstärker Atoll IN 300
Lautsprecher – Standlautsprecher LUA Con Espressione, Xavian Madre Perla, Subwoofer REL R 505, Regallautsprecher guerilla audio Modell 08/15
Kopfhörer – Offener Kopfhörer Focal Clear, Kopfhörerverstärker Divaldi AMP-02 mit Phono MM- & MC Stufe
Zubehör – Lautsprecherkabel Supra XL Annorum. XLR- und Cinchkabel Fadel Art Pro Link, Stromkabel Supra LoRad 2.5, Netzleiste PS Audio Dectet, Powergrip YG-1 Netzfilter, HiFi-Switch NuPrime Omnia SW-8, LAN-Kabel Supra Cat8 & Wireworld Starlight 8
Bilder, soweit nicht anders vermerkt: Bernd Weber
Bisher bei uns im Test vom selben Hersteller der Vollverstärker Atoll IN 200SE und der Streaming-Vorverstärker Atoll ST 200 Signature.