Es kommt selten genug vor, dass sich mal ein Röhrenverstärker zu mir verirrt. Woran das liegt, kann zumindest ich nicht sagen. Was die Art und Weise angeht wie „guter Klang“ entsteht, bin ich nämlich völlig leidenschaftslos. Das kann gerne ein Transistor sein – mit oder ohne Röhren in der Vorstufe oder wie im aktuellen Fall eine „Vollröhre“, wo nicht nur der „Preamp“ bei der Arbeit errötet, sondern auch Endstufenröhren mit einer gehörigen Portion Abwärme zeigen wollen, dass es sich beileibe nicht um Technik (und vor allem Klang) aus dem vorigen Jahrhundert handelt.
Und der LAB12 Integre4 MK2 spielt ganz besonders mit diesem Klischee, denn optisch sowie technisch ist es fast gar nicht möglich, noch mehr „old-stylish“ zu sein. Er besteht aus einer ganzen Menge „Eisen“ in Form von wuchtigen, schweren Ausgangstrafos, seine gläsernen Auslagen recken und strecken sich so unverblümt in die Höhe wie die Akropolis – ganz so, als hätte es Energiekrisen, EU-Verordnungen sowie Class-D-Verstärker nie gegeben.
Doch halt, wer Lab12 und den Gründer als auch Eigentümer Stratos Vichos nur ansatzweise kennt weiß natürlich, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Denn Stratos ist ein ingeniöser Tüftler als auch Elektroingenieur der es schafft, einen solch archaischen Verstärker (und das ist in keinster Weise despektierlich gemeint) mittels einer ausgeklügelten Mikroprozessorsteuerung (Achtung Highender: hier liegt nichts im Signalweg…) energiebilanz- und bedienungstechnisch ins jetzige Jahrhundert zu befördern.
Schauen wir ihn uns mal genauer an!
LAB12 Integre4 MK2 – Die Technik
Das griechische Schwergewicht trägt in der Vorstufe 4 Doppeltrioden des Typs 6N1P zur Schau. Diese gar nicht mal so ungebräuchliche Röhre russischer Provenienz ist vergleichbar mit der vielleicht bekannteren ECC85 und entspricht dieser auch von ihren Werten her. Die 6N1P hat aber einen entscheidenden Vorteil – sie lässt sich ungleich einfacher beschaffen, sie ist praktisch immer und überall verfügbar. In der Endstufensektion kommt der LAB12 Integre4 MK2 mit echten Brummern um die Ecke , so groß wie Coladosen: gestatten, hier haben wir die KT 170, die letzte und neueste Weiterentwicklung aus der „KT-Röhrenserie“. Mit der KT 170 schafft es der LAB12 Integre4 MK2, 75 Watt pro Kanal an die Lautsprecherklemmen zu hieven. Und wer sich mit Röhren auskennt weiß, dass die Wattangaben hier meist eher statistischer Natur sind, denn oft hören sich Röhrenwatt so an, als ob jedes einzelne noch drei oder vier sehr gute Freunde mitgebracht hat…
Unser Proband arbeitet mit sogenannten Ausgangsübertragern. Diese stellen eine übliche Art und Weise dar, die relativ hohen Betriebsspannungen, die ein Röhrenverstärker nun einmal aus dem Musiksignal „gewinnt“, auf das richtige Maß für Lautsprecher herunterzutransformieren. Die Endstufenröhren „hängen“ also nicht direkt an den Lautsprechern, sondern sind eben durch die Übertrager gepuffert. Weiterer Vorteil der Übertrager: Die Endstufenröhren „sehen“ sozusagen immer eine gleiche Last und können in dem für sie optimalen Bereich arbeiten. Ein Transistorverstärker hingegen (hier gibt es aber – auch exotische – Ausnahmen) arbeitet mit wesentlich kleineren Betriebsspannungen, sodass eine Trafoanpassung nicht nötig ist. Der Transistor arbeitet dem Lautsprecher also „direkt“ zu.
Durch die wirklich geniale Mikroprozessorsteuerung und das schöne OLED-Display ist es (gleiche Röhrensockelung vorausgesetzt) möglich, bei Bedarf auch andere Endstufenröhren einzusetzen. Man könnte ohne weiteres bestücken: die 6L6 oder auch die EL-34, der LAB12 nimmt zudem auch gerne eine 6550 an die Brust und von der gesamten KT-Produktpalette reden wir erst gar nicht; KT-88, KT-120, KT-150 und eben die KT-170 sind ebenfalls gerne gesehen.
Ein Wechsel gestaltet sich kinderleicht. Man muss lediglich den entsprechenden Menüpunkt anwählen (das funktioniert sogar für solche Bedienungsanleitungs-Verweigerer wie mich super, weil es selbsterklärend ist) und dann mit einem kleinen, dem Verstärker beiliegenden Schraubendreher den jeweiligen Ruhestrom der vier Endstufenröhren anpassen (der Ruhestrom, auch Bias genannt, ist bei Endröhren so etwas wie die Leerlaufdrehzahl beim Auto mit Verbrennungsmotor). Und ja, hier muss auch ich in die sehr gute Bedienungsanleitung schauen – der Ruhestrom der KT-170 darf eingestellt werden von 46 Milliampere bis 54 Milliampere. Je höher, desto knackiger hört es sich an, umso heißer wird aber auch die Röhre. Zudem ist Röhren, wenn sie am oberen Bias-Limit „gefahren“ werden, ein viel zu schnelles Ableben beschieden… Ich habe mich mit einem sehr guten Kompromiss begnügt (50 Milliampere). Der LAB12 Integre4 MK2 zeigt via weiterem Menüpunkt gleichfalls an, wieviel Betriebsstunden die Röhren auf dem Sockel haben, auch kann man den Eingängen (vorgegebene) Namen zuweisen. Und wem das OLED-Display zu hell ist, kann es abdimmen oder ganz abschalten.
Hinten ist alles klar strukturiert, Rätsel gibt es keine. Es gibt 6 Eingänge (einer davon symmetrisch in XLR). Damit kann man schon einen mittelprächtigen bis großen Quellen-Fuhrpark unterbringen. Dazu gibt es Lautsprecherklemmen und die Netzbuchse. Der Ein/Aus-Schalter befindet sich vorne links auf der Oberseite (finde ich toll), die gegenüberliegende Oberseite offeriert lobenswerterweise zusätzlich noch einen Kopfhöreranschluss (6,3-mm-Klinke).
Es versteht sich von selbst, dass ein solches Kaliber wie der LAB12 Integre4 MK2 frei stehen muss. Die Hitzeentwicklung der „Coladosen“ steigt vor allem bei längeren Sessions in prohibitive Regionen, die beispielsweise ein „Einpferchen“ in ein enges Regalfach oder Ähnliches verbieten. Die Endstufe arbeitet in klassischer Push-Pull-Schaltung (und eben nicht in Class A), daher kommt auch der eher moderate Stromhunger von mehr oder weniger genau 350 Watt bei Voll-Last.
LAB12 Integre4 MK2 – Der Klang
Nachdem sich der LAB12 einige Tage lang an lokalen Internetradiosendern vergnügen konnte, wagte ich die ersten ernsthaften Hörsessions. Erstes Fazit: Dass die Angabe von 75 Watt pro Kanal keinesfalls über-, eher ein wenig untertrieben scheint, bewies sogleich „The Expert“ von Yello (CD, Touch Yello, Polydor, 1635031) nachdrücklich: Abgrundtief, schwarz und druckvoll stanzt der LAB12 Integre4 MK2 die Beats in den Raum, auf dass sich die Nachbarn in der Parallelstraße auch noch darüber freuen dürfen. So haben sich das die schweizerischen Soundtüftler von Yello, Boris Blank und Dieter Meier vorgestellt; beinhartes Bassgewitter, das Angst macht. Und der LAB12 gibt trotz der schieren Wucht nicht das Kommando ab – er bremst genauso schnell, wie er beschleunigt. Timing sowie Rhythmik at its best – kontrollierte Kraft bis in die tiefsten Abgründe. Höchstens ganz, ganz weit unten im Basskeller, wo schon die allerteuersten Transistoren auf Beute warten, wird der LAB12 etwas weicher. Aber das tut ihm keinen Abbruch, im Gegenteil. Er ist halt eine ehrliche Haut.
Der LAB12 Integre4 MK2 ist so, wie wenn du als Jugendlicher das erste Mal mit deinem großen Bruder in der Kneipe warst und dann mit ihm den dunklen Feldweg nach Hause nimmst: Er gibt Dir das Gefühl, dass er jede Situation meistern wird. Egal was passiert, du bist sicher. Da ist Saft und Kraft, die Reserve wird gefühlt nie angetastet.
Aber der schwere Grieche kann auch gefühlvoll. Die korrekte Darstellung der menschlichen Stimme ist für mich eine der wichtigsten Eigenschaften eines guten HiFi-Gerätes- zumal wenn es eines mit Röhre ist. Demnach bin ich irgendwann zwangsläufig bei Amos Lee gelandet, der mit kleiner Besetzung und herzerweichend schöner Stimme von Liebe, Lebenserfahrungen und ausweglosen Situationen singt (Mission Bell, Blue Note, 4992758). Das hinterlässt, richtiges Equipment vorausgesetzt, ein Gefühl von Westcoastromantik, Sonnenuntergang und Melancholie. Der LAB12 lässt sich auch hier nicht lumpen und interpretiert stoisch das, was er serviert bekommt, die Lagerfeuerfantasie gibt’s gratis obendrauf. Besonderes Highlight ist das „Festtackern“ der Stimmen mehr oder weniger genau zwischen den Lautsprechern; und das in einer Höhe, die es realistisch macht. Der Interpret steht eindeutig da (und liegt oder sitzt nicht).
Insgesamt ist der LAB12 Integre4 MK2 mit einer sehr neutralen und nicht beschönigend-romantischen Diktion gesegnet. Man könnte ihn als einen „Transistorverstärker unter den Röhrenverstärkern“ beschreiben, eben weil er so neutral und stoisch spielt. Einen kleinen romantischen Einschlag hat er höchstens im Bereich der Gesangsstimmen (und hier ist es egal, ob Männlein oder Weiblein), die er deutlich, inbrünstig und sogar ein wenig „magisch“ in den Hörraum projiziert – ganz Röhre eben.
Um das Vorgenannte zu untermauern und zugleich nachzuvollziehen, ob es mit der Räumlichkeit auch soweit stimmt, gibt es an langen Winterabenden für mich nichts besseres als Mercy Street (So, Peter Gabriel) – und das am besten von der Langspielplatte. Der LAB12 lässt der gefühlvoll-unheimlichen Anmutung dieses Songs allen nötigen Raum. Die kleinen feinen Glöckchen dürfen nicht kratzen, sondern sanft und dennoch „überdeutlich leise“ rechts oben hinter dem Lautsprecher erklingen, Gabriels Stimme ist präsent, erdrückt aber nicht den Song und der treibende, kraftvoll-düstere Beat hat die „Macht“, einen in Nachdenklichkeit zurückzulassen. Super Vorstellung des LAB12 – er lässt es geschehen, hilft an der ein oder anderen Stelle mit dem richtigen Schub nach und sorgt ansonsten dafür, dass es kribbelt.
LAB12 Integre4 MK2 – Fazit
Ich habe den LAB12 Integre4 MK2 genossen. Er ist frei von Allüren, leicht zu bedienen und unkompliziert. Rauschen, Spratzeln, Nebengeräusche? Nein, Fehlanzeige. Hier herrscht totale Ruhe, der LAB12 ist vorbildlich und macht einfach nur – Musik. Sonst nichts. Klanglich ist der LAB12 Integre MK2 ein ehrlicher, neutraler sowie hochklassiger Röhrenvollverstärker mit einer Vorliebe für Stimmen. Er hat genug Eingänge für alle Eventualitäten und ist sehr gut verarbeitet, die Preis-Gegenwert-Ratio ist hervorragend. Wenn Sie schon immer mal eine Röhre ausprobieren wollten und zudem auch gerne mal Tube-Rolling betreiben, dann ist das hier ein ganz heißer Tipp für Sie. Im wahrsten Sinne des Wortes!
Im Test
High End Vollverstärker
LAB12 Integre4 MK2
Unverbindliche Preisempfehlung: 5.930 €
Größe: 43,0*29,0*19,0 cm
Gewicht: 22 kg
Front: OLED-Display
Ausführungen: Schwarz, Silber
Kontakt
Am Schwarzbach 78
41066 Moenchengladbach
Mitspieler im Test
Quellen digital – Netzwerkspieler Olive Audio 4HD, High End CD-Spieler AMR CD-777
Quellen analog – Plattenspieler Dr. Feickert Audio Blackbird mit Tonabnehmer EMT HSD 006 und Ortofon SPU Classic GE MKII, Phono MM- & MC Verstärker Cyrus Signature Phono (mit PSX-R)
Verstärker – Vollverstärker Unison Unico 150, Vorstufe Audio Hungary APR 204, Endstufe Bryston 4 BSST, Hybridvollverstärker Circle Labs Audio A 200
Lautsprecher – Standlautsprecher Sonus Faber Olympica 2
Zubehör – Kabel von Horn Audiophiles, A23, HMS, Isotek, Boaacoustic
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