Alle Besucher der High End kennen wahrscheinlich die Abwägung, die es beim Besuch der Messe zu treffen gilt: Welche Aussteller besuche ich gezielt, oder, wenn ich mich treiben lasse, wo verbringe ich wieviel Zeit. Fest steht: eine ausgebuchte High End in München ist an einem Tag nicht zu bewältigen. Schon gar nicht, wenn man an dem ein oder anderen Stand „hängen bleibt“ und ins Gespräch kommt – was durchaus schnell passieren kann. Ich war drei Tage dort und habe trotzdem nicht alles sehen, geschweige denn hören können. Rückblickend bemerke ich, dass ich gerne in den Messehallen verweile und schaue, was es dort Neues gibt. Trotz einiger Hörkabinen und Präsentationen mit Kopfhörern sind viele Exponate nur ausgestellt und spielen nicht. Aber einen Höreindruck kann man sich bei Gefallen auch später noch holen – nach dem visuellen Appetit.
So auch bei der dänischen Traditionsfirma Vifa, die für mich immer speziell für ihre Hochtöner bekannt war. Auch Vifa hat sich in den letzten Jahren neu erfunden mit schicken „portable“ und „wireless“ Produkten. Die dänische Firma fertigt zwar nicht im Heimatland, Naturprodukte wie Stoffe und Leder stammen aber aus Dänemark. Besonders zur Geltung kommt dies bei den Modellen Reykjavik und Helsinki, die mit Stoff und Leder an eine Damenhandtasche (oder muss ich jetzt Personenhandtasche (m/w/d) sagen?) erinnern. Schick sind die Henkelmänner (Henkelpersonen? Schon wieder dieses Problem…) Stockholm 2.0 und Copnhagen mit einem Alurahmen, der einen flachen Tragegriff bildet, und einem mit passendem pastellfarbenen Stoff bezogenen Korpus. Eine klasse Kombination. Stichworte in Sachen Konnektivität sind je nach Modell Bluetooth, WiFi direct, WiFi-Network und auch digital verkabelt.
Auf smarte Unterhaltung zu Hause zielt die „Home“ Linie von Audio Pro ab, die mit klassisch schickem Design und dem Einsatz von angenehm anzuschauenden Stoffen nicht nur auf Funktionalität sondern auch auf Wohnlichkeit setzt. Ein schöner Trend für Menschen, die ihr Wohn-Ambiente nicht dem Stilgefühl von HiFi-Perfektionisten alter Schule unterwerfen wollen 😉 Bei Audio Pro scheint beides jedenfalls zusammen zu wachsen – HiFi und Ambiente. Praktisch sind hier die Themen „Multiroom“, „Wireless“ und auch autarke Lösungen mit Akku.
Das Flair des guten alten Kofferradios bestückt mit moderner Technik und Schnittstellen greift Telestar seit Neuestem mit der Marke REVO auf. Telestar platziert die Marke im Handel bewusst auf ausgesuchten Vertriebswegen, um der Exklusivität gerecht zu werden. Ein Blick ins Internet zeigt eine Preisspanne von aktuell rund 270 Euro bis 650 Euro. Stimmt der Sound ist Revo eine interessante Wahl für Menschen, die nicht nur kompakten Sound, sondern auch der Look der 60er/70er im Wohnraum wünschen.
Ein etwas extrovertierteres Gemüt oder eines mit ausgeprägtem Hang zum Automobil – oder beidem – muss man haben, um sich ein ixoost Esavox Lamborghini Lautsprechersystem in die Kemenate – oder besser das Loft – zu stellen. Bei den stolzen Abmessungen des Geräts von 125 cm x 65 cm x 50 cm sollte das Gemach nicht allzu klein und mit circa 53 kg das Sideboard nicht allzu klapprig ausfallen. Ähnlich verhält es sich mit dem Füllstand des Sparstrumpfes. Für die Zielgruppe sicherlich kein Problem. Der „Esavox Kohlefaser Docking Station Lautsprecher“, so die offizielle Bezeichnung, schlägt mit etwas über 24.000 Euro Kaufpreis zu Buche. Mit etwas Geduld sollte der Käufer des exklusiven Stücks ebenfalls gesegnet sein. Gebaut wird in Italien nach Bestelleingang mit einer Lieferzeit bis zu 90 Tagen. Dafür erhält der stolze Besitzer nicht nur Optik sondern auch ambitionierte Technik: ein virtuelles 6.1-Surround-System mit Bluetooth 4.0, einem analogen Eingang, 24 bit DSP und 800 Watt Leistung. Ein exklusiver Hingucker für solvente Lamborghini Fans. Die AVALÁN Carbon Fibre Docking Station im Hintergrund ist mit rund 9.000 Euro erschwinglich und kommt optisch dezenter daher, bleibt aber ebenfalls ein echtes HiFi-Bekenntnis zum Sportwagen aus Sant’Agata Bolognese.
Auffällig sind auch die Schöpfungen der estländischen Lautsprecherschmiede estelon. Ich erlaube mir, weil es so gut passt, mal einen Abstecher ins Atrium 4.2. . In ihrem Showroom zeigte estelon sein Top Modell EXTREME Mk II in hervorragendem Lackfinish. Außergewöhnlich schon das Gehäusematerial: Marmor basiertes Composit. Klingt schwer. Ist es auch. Mit einer Höhe von 1770 mm bis 2070 mm (das Frontmodul ist einstellbar) einer Breite von 690 mm und einer Tiefe von 820 mm kommt der schlanke Lautsprecher-Riese auf ein Gewicht von rund 250 kg. Pro Stück versteht sich. Empfohlen wir eine Raumgröße von 50-200 m². Sollte der Besitzer sich entschließen die Lautsprecher mit Dan D’Agostninos Relentless Mono Blöcken (siehe „Reportage – zweite erste Eindrücke“) zu betreiben, ist er bei einem Startgewicht seiner Anlage von mindestens einer Tonne angekommen. Ohne Pre und Quelle. Eine Anfrage beim Gebäudestatiker ist da kein Fehler 😉 Belohnt wird der der stolze Besitzer mit einem superben Klang, der bereits im Hörraum der High End deutlich aufgeblitzt ist. Estelon bietet übrigens auch Modelle wie die XC an, die deutlich kompakter ausfallen.
Hier ein kleines Video aus der Vorführung von Estelon (Video: Bernd Weber).
Zurück in den Hallen. Sehr viel Wert auf die Wahl der Materialien, ein makelloses Oberflächenfinish sowie piekfeine Verarbeitung legt auch der Newcomer HOUCHMAND, der in der Start-Up Area gastierte. Mit seinem aktiven drei Wege Streaming Lautsprecher will der Pforzheimer Hersteller Maßstäbe in den Disziplinen Erscheinung, Funktion und Benutzerfreundlichkeit setzen. Noch handelt es sich um Prototypen. Wir sind gespannt, wie sich das Projekt weiter entwickelt.
Auf der HighEnd 2022 zeigte der Hersteller mit Sitz in London TOVE Audio seine PREMIUM Serie als – pünktlich zur Messe fertig gewordene – Prototypen. Die Flächen um den Tiefmitteltöner herum sind in Holz schwierig zu bearbeiten und zeigten noch Verbesserungspotential. So etwas sei einem ersten Prototypen aber verziehen. Die Richtung war klar zu erkennen. Es spielten die weißen Systeme auf kurze Distanz – und das sehr ansprechend. Die Lautsprecher standen in der Halle, nicht in einer Kabine – das war zu bedenken. Ich bin auf den weiteren Weg der PREMIUM Serie gespannt. TOVE Audio hat mit den den kompakten 6.5/2 (nicht im Bild) auf der Hi-Fi Expo Sofia 2015 übrigens einen Preis für beste Preis/Leistung gewonnen.
Die passiven Lautsprecher Höffner H1 hatten wir bereits auf der High End 2018 entdeckt und ausführlich darüber berichtet. Seinerzeit lieferten die Lautsprecher, die aus dem Kunststein Corian gefertigt sind und stolze 50 kg wiegen, in einer Hörkabine eine entspannte musikalische Vorstellung. Dort ließ es sich verweilen. 2022 sind sie – stumm – links im Bild zu sehen. Rechts stehen H10+ in kubischem Design, die in Lack wie in Naturholz-Furnier wunderbar mit einem Hauch Retro ausschauen. Die Gehäuseform gibt es als H10 mit aktivem zwei Wege System und Passiv-Bassmembran, als H10+ als vollaktives 3-Wege-System sowie als teilaktive Version H10+ hybrid, die passiv verkabelt im Bass zusätzlich aktiv unterstützt wird. Auf diese Weise kann der Besitzer Art und Einfluss der vorgeschalteten Elektronik nach eigenem Gusto bestimmen.
Konsequente Wege geht auch der Hamburger Hersteller LYRAVOX mit seinen aktiven, digitalen Lautsprechern. LYRAVOX setzte auf der High End 2022 zumindest in den von mir besuchten Räumen einzig auf den digitalen Musikserver und Zuspieler der Marke Antipodes.
Antipodes Audio stellte zum ersten Mal seine brandneuen und überaus hübsch gewandeten OLADRA vor. Sie vereinen Musikserver, Player und Reclocker in einem Gerät. Preisklasse: 25.000 USD netto. Die HiFi-IFAs hatten bereits zweimal Antipoden zum Test zu Gast. Einmal die Kombination CX Musikserver mit EX Musikserver und Player nebst CD-Laufwerk P1 und Reclocker/Signalwandler P2 (Review), danach den Musikserver und Player K30 (Review) mit dem Reclocker/Signalwandler S20 und seinem optionalen Netzteil S60 (Review). Beide Musikserver-Setups lieferten bereits eine herausragende Performance ab. OLADRA vereint nun alles unter einem Dach. An der Lyravox KARL II (oberes Bild) und der KARLA (Bild unten) klang das hervorragend.
Die ebenfalls aus Kunststein gefertigte aktive, digitale KARLA besitzt auch Accuton Ceramic Chassis. KARLA ist im Vorserien-Stadium und noch nicht im offiziellen Portfolio zu finden. LYRAVOX ist auf die Resonanzen des Publikums gespannt. Bei KARL und KARLA löste sich der Klang herrlich von der breiten Schallwand und zauberte natürlichen, lockeren Sound in den Raum. Also meinen Segen hat die KARLA.
Audiodinamica zeigte seine BeCube Serie auf der High End München 2022 ganz in weiß, hält im Programm aber auch noch andere Farben bereit. Schlichtes, konsequent kubisches sowie kompaktes Design sind das Markenzeichen der italienischen Marke. Reduziert auf das Wesentliche. Erhältlich ist im audiodinamica Look alles Notwendige für ein komplettes Setup, unter anderem ein Netzteil, Kopfhörerverstärker und Phonovorverstärker sowie MC-Step-Up.
Wem der Uni-Look dann doch zu viel Understatement ist: Der Chef von audiodinamica, Gianluca Sperti, zeigt, dass auch individuelle Gestaltungsmöglichkeiten der Gehäuse nach Kundenwunsch realisierbar sind.
Die Erfüllung von Kundenwünschen ist auch bei A. C. Haller Programm. Der Kunde kann sich seinen Plattenspieler aus einem Baukasten zusammenstellen. Hauptkomponenten sind der eigentliche Plattendreher, die Tonarme und die Tonarm-Stands sowie Netzteile. Dem eidgenössischen Masselaufwerk sieht man die Liebe des Herstellers zur mechanischen Fertigung sofort an. Feine Bearbeitung und aufwändiges Finish prägen die Modelle von A. C. Haller.
Ein Clou sind die Stands, die ein schnelles Wechseln des Tonarms zulassen. Durch einstellbare Anschläge und lineares Verschieben kann so einfach zum Beispiel von einem 9″ auf einen 12″ Arm gewechselt werden.
Eine ebenfalls sehr hohe Fertigungstiefe weist nach eigener Aussage AMG – die Analog Manufaktur Germany – auf. Die Liebe zum Detail ist sichtbar. Alles was Metallteile betrifft wird bei AMG selbst gefertigt. Nur bei den Holzwangen ihrer Chassis müssen sich die Oberpfälzer auf Zulieferer verlassen.
Wer einen extravaganten und technisch hochwertigen Moving Coil Step-Up sucht, wird beim dänischen Vertrieb Sallingboe Audio fündig: der gleichfalls dänische TONA T20/40, der MC-Signale im Verhältnis 1:20 beziehungsweise 1:40 verstärkt. TONA bringt Erfahrungen aus dem Studiobereich mit. Die Auswahl der Verstärkung erfolgt direkt über die Steckplätze. Das Holzkästchen sieht vergleichsweise harmlos aus und ich dachte, es sei am Tisch festgeschraubt, als ich es hoch heben wollte. Tatsächlich wiegt es satte 4,6 kg, da das Innenleben zur Schirmung aus aus dem Vollen gefrästen Aluminium besteht. Der Preis liegt bei 23.900 Dänischen Kronen (ca. 3.200 Euro).
Der Stand von AURIS und EarMen zeigte die gesamte Palette des Verstärker- und Kopfhörerverstärker-Spezialisten. Unter anderem den Nachfolger des edlen röhrenbestückten AURIS NIRVANA in der Mk2 Version. Den audiophilen Ur-Nirvana hatten die HiFi-IFAs Mai 2020 zum Test. Interessant war, dass nicht nur viele Plattenspieler-Hersteller Kopfhörer zur Vorführung nutzten. Auch Anbieter von Kopfhörer-Produkten griffen zum Vinyl – wie AURIS oben im Bild. Back to the roots.
Am Stand präsentierte sich auch die Schwester-Marke EarMen, die ihren Einstand mit mobilen Produkten wie dem handschmeichlerischen Mini-USB-DAC/Kopfhörerverstärker SPARROW (Test November 2020) und dem USB-DAC/KHV/Pre-Amp TR-Amp (Test März 2021) feierte. Nun erweitert EarMen sein Portfolio konsequent mit kompakten Lösungen für den Kopfhörer-Fan weiter. Aktuell im Test bei den HiFi-IFAs ist der neue mobile USB-KHV/DAC COLIBRI mit integriertem Akku. Im Bild oben der Bluetooth-USB-DAC TRADUTTO und der bald erhältliche STACCATO Streamer sowie der Kopfhörer- und Vorverstärker CH-Amp mit Netzteil PSU3. Die amerikanische Marke mit serbischen Wurzeln legt Wert auf eine hohe Fertigungstiefe in Europa.
Neu auf der Bühne ist die chinesische Marke aune, die ebenfalls Lösungen für Kopfhörer-Fans anbietet und mit ihrem österreichischen Vertriebspartner für Deutschland und Österreich vertreten war. Die Produktpalette ist mit tragbaren Geräten, In-Ears und Lösungen für den Schreibtisch recht umfassend. Die Gehäuse der kompakten Geräte sind aufwändig und sorgsam gefertigt, die Preise dagegen moderat. Das oben abgebildete Türmchen bestehend aus HiRes-Multifunktionsplayer, Bluetooth-Kopfhörerverstärker/DAC und Clock(!) sowie nebenstehender externer Netzteile liegt als großes Besteck knapp über 1.000 Euro.
Weitere Berichte von der High End München 2022 folgen… Stay tuned!
Fotos: F. Visarius
Video: B. Weber