Delikate Nuanciertheit
Elmiene | Marking My Time (EP)
(Label: Polydor)
Erstmals aufmerksam wurde ich auf Elmiene, den erst 22-jährigen R&B-Crooner aus Oxford, durch seine Akustik-Performance bei den Vevo DSCVR Artists To Watch 2024, wo er mit dieser unfassbaren Stimme den Titelsong seiner zweiten EP Marking My Time zum Besten gab. Klar, dass das Stück bei mir fortan in Dauerschleife lief, habe ich solch ein seelenvolles Falsett doch zuletzt nur auf der MTv Unplugged-EP von Maxwell gehört, und die ist immerhin von 1997! (Kennen Sie nicht? Sollten Sie, allein ob des Kate-Bush-Covers „This Woman’s Work“.) Auch klar also, dass ich sofort zusagte, als die Einladung von Musikmulti Universal in den elektronischen Briefkasten flatterte, den als Abdala Elamin geborenen Elmiene bei einem exklusiven Akustik-Set im Soho House Berlin zu hören – und das, obwohl ich eigentlich mit einer fetten Bronchitis flachlag.
Ich hab’s nicht bereut. Bis in die Haarspitzen angefüllt mit Hustenblocker wurde ich Zeugin eines superintimen, hochemotionalen, schlichtweg wunderbaren Konzerts, das nahezu durchgängig in Downtempo und Moll gehalten wurde. Wenn sich der junge Brite, der sein Publikum im Griff hatte wie ein Hypnotiseur die Massen, nicht selbst an der Orgel begleitete, übernahm es eine zweiköpfige Band, ihm durch das nur acht Songs dauernde Set zu helfen, das neben dem eröffnenden „Marking My Time“ aus den Stücken „Freedom“, „Open Light“, „Sweetness“, „Some Day“, „Endless No More“ und „Anyways“ bestand. Gute Songs, allesamt. Und was dieser Mann singen kann! Das Konzert hielt, kam ich nicht umhin festzustellen, exakt das, was meine erste Begegnung mit der Musik Elmienes versprach: feinsten Neo Soul britischer Provenienz, der seine Wurzeln tief, ganz tief im klassischen R&B – man denke hier nur an Al Green, Otis Redding oder Bill Withers – hat, dabei aber auch den NuSoul-Heroen vom Ende der Neunziger-/Anfang der Zweitausenderjahre Respekt zollt, wie etwa Erykah Badu, D’Angelo oder eben Maxwell.
Ebenso souverän und vor allem emotionsreich, wie Elmiene die höchsten Falsett-Töne meistert, wandert er mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die mittleren und tieferen Register. Live wird klar, dass er auch röhren und shouten kann, wie man es von gestandenen Soulssängern wie etwa vom James Brown kennt, wobei Elmiene nie der Effekthascherei geziehen werden kann. Seine außergewöhnliche Stimme stellt er stets in den Dienst der Musik, wobei er eine delikate Nuanciertheit bevorzugt, die auf zartesten Feinsinn schließen lässt. Die Musikplattform Colours Studios, die neben einem Interview eine Unplugged-Version seines Songs „Endless No More“ hostet, fasst treffend zusammen: „Elmiene’s stunning falsetto-laden vocals are delivered with poise and pain as his pleading words hover over each piano chord with unwavering emotion.“
Dabei liest sich seine Geschichte wie eine Mischung aus Aschenputtel und American Dream: Seitdem Elmiene 2021 ein Cover von D’Angelos „Untitled (How Does It Feel)“ auf den sozialen Medien hochgeladen hat, was ihm dank eines Re-Tweets durch Missy Eliott über Nacht jenen Internetruhm bescherte, der die Plattenfirmen Schlange stehen ließ, fühlte er sich, räumt er ein, als Hochstapler – hatte er doch bis dahin weder einen einzigen Song geschrieben noch überhaupt jemals Musik gemacht. Vielmehr sei die Poesie immer sein Ding gewesen. Aber wenn schon, denn schon, sagte er sich, um mit seinem ersten selbstgeschriebenen Song „Golden“ gleich mal den Soundtrack zur letzten Show des jüngst verstorbenen Louis-Vuitton-Designers Virgil Abloh abzuliefern. 2003 schob er seine 5-Song-Debüt-EP El-Mean hinterher, die ihm prompt Vergleiche mit Genre-Größen wie Stevie Wonder, Boys II Men und D’Angelo, aber auch Joni Mitchell einbrachte.
Nun also folgt mit Marking My Time die zweite EP, die diesmal sechs Stücke enthält und als transparentes 12‘‘-Vinyl zu haben ist, aber natürlich auch auf den heutzutage üblichen Kanälen. Ihr Sound allerdings überrascht: Versprachen all die Akustik-Sets schmachtend-schmelzenden Neo-Soul, huldigt nun einzig der Opener „Remember“, vielleicht auch noch das folgende „Mama“, diesem Stil, obgleich auch hier schon die dezenten Future-R&B-Breakbeats auf die, sagen wir mal: Trappifizierung der folgenden Musik hinweisen. So etwa hat der Titeltrack „Marking My Time“, obgleich er ohne Trap-Beats & Co., ja: überhaupt gänzlich ohne Beats auskommt, dafür aber mit einer gigantischen Portion Synthie-Streichern umspült wird, eine zwar dezente, aber dennoch unpassende Elektrifizierung erfahren, was ihn – ebenso wie die gesamte EP – wie etwas klingen lässt, das aus jedem Eckradio tönen könnte. Kurz gesagt: beliebig. Immer noch angenehm zu hören, aber the thrill is gone and the magic as well.
Es ist ein bisschen wie mit Billie Eilish: Deren Stücke sind schlechterdings wundervoll, sofern sie von ihrem Bruder auf der Akustikgitarre begleitet werden, wie etwa das Drei-Song-Set für Nylon von 2018 beweist. Kommen aber die zeitgenössisch poppigen R&B-Trap-Sounds dazu, ist die Musik eher etwas für den Schulhof. Ich glaube, es war Brian Eno, der gesagt hat, das Alter von Musik ließe sich zuverlässig am Schlagzeug erkennen. Und Elmienes zeitlose Stimme verträgt sich nun einmal nicht mit hypermodernden Beats. Vorschlag zur Güte: Schenken Sie die „Marking My Time“-EP ihren 13-jährigen Nichten und Neffen. Und gehen Sie zu seinen Akustik-Konzerten, sofern sich die Gelegenheit dazu ergibt. Hier wird er lediglich von Gitarre und Orgel begleitet. Einen Vorgeschmack, wenngleich ohne Falsett-Gesang, dafür aber mit viel Soul, habe ich aus dem Berliner Soho House mitgebracht:
Video: Elmiene, „Open Light“, Live Acoustic Performance, Berlin, January 17th, 2024, Soho House
Enjoy!