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Musik-Tipp

Musik-Tipp: LIUN – Does It Make You Love Your Life

Victoriah SzirmaiBy Victoriah Szirmai4. Juli 2025

Prüfe alles und behalte das Gute

LIUN | Does It Make You Love Your Life

(Heartcore Records)

Eine Frage, die man sich viel öfter stellen sollte, werfen LIUN + The Science Fiction Band – das „Synthpop für die Menschen von übermorgen“-Projekt von Lucia Cadotsch und Wanja Slavin – auf ihrem dritten Album auf: Does it make you love your life?

Cover-LIUN

Tue ich, was ich tue, wirklich gern und aus freien Stücken? Oder aus Zwang und/oder Automatismus? Passt das überhaupt noch in mein Leben? Macht mich die morgendliche Tasse Löskaffee, eine Angewohnheit aus Studententagen, noch froh? Wäre ich nicht viel glücklicher, morgens dem Blubbern einer Mokka auf dem Herd zu lauschen? Oder wäre die Zeit dieser Kaffeebereitung einfach nur zusätzlicher Stress in meiner streng getakteten Morgenroutine? Es geht ums Hinterfragen alltäglicher Gewohnheiten: Muss das eigentlich so sein oder mache ich das nur, weil man das eben nun mal so macht? Die Jahreslosung meines aktuellen Hauptbrötchengebers bringt’s auf den Punkt: Prüfe alles und behalte das Gute.

Nach Time Rewind (2019, Enja & Yellowbird Records) und Lily of the Nile (2022, Heartcore Records) jedenfalls fährt das mit Cadotsch und Slavin zusammengefundene Match made in Heaven jetzt ein vielschichtiges, elektroakustisches Studioalbum mit dreizehnköpfigem Streichensemble auf.

LIUN-Foto-Dovile-Sermokas
LIUN [Foto: Dovile Sermokas]
Der Auftakt von „Speak To Me“, dem ersten der acht Stücke, klingt dann auch eher nach moderner Klassik, bevor untergründig grummelnde Electro-Drones das Ganze in die Welt postapokalyptischen Düsterpops à la Billie Eilish überführen und wenig später ein R&B’esker Basstuba-Dance-Beat an frühe Destinys-Child-Klassiker denken lässt, allerdings mit einer sehr unaufgeregten Cadotsch an den Vocals, die so gar nichts von amerikanisch-überdrehtem Girlgrouppop an sich haben.

„Faye Dunnaway“ überrascht mit allerlei Distortion und einer collagenartigen Struktur, bei der mal beruhigende Streicherfronten über aufwühlendem D&B-Grund, mal unruhige Rührtrommeln, mal die so sirenengleich wie eindringlich gehauchte Titelfrage Does it make you love your life? das Sagen haben. Cadotsch und Slavin haben, das wird hier schon klar, Songs in Songlänge, jedoch ohne Songstruktur kreiert, Sinfonien für die Hosentasche im entsprechenden Miniaturformat.

Die nervösen „Letters“ scheinen mit ihrem enervierendem Dauerloop im Hintergrund, der sich wie eine nimmermüde Leierkastenfigur immerfort perpetuierend in die Gehörgänge bohrt, per Eilpost verschickt worden zu sein: Hier rasselt’s und klingelt’s und schrappt’s und fiept’s, konterkariert einzig von den erdigen Vocals der Cadotsch.

Düster und symphonisch schleicht sich die „Katze“ an, abgelöst von minimalistischem Tastenspiel und einem Vokalteil, der wie aneinandergeklebt wirkt, bevor sich das Piano als Begleitung der Vocals wiederfindet und die anfängliche Cinephonie Noir in den dunklen Akkorden erneut aufscheint, bis Cadotsch und die Streicher im Verbund eine zunehmende Dringlichkeit, ja: Unbedingtheit entwickeln, die auch durch den spieluhrartigen Schlussteil nicht aufgehoben wird.

Kurz, ganz kurz nur ist Cadotschs Stimme nach der gedämpften Einleitung mit präpariertem Piano auf „Daddy Longleg“ pur, ohne allesüberlagernde Wall of Orchestersound zu hören – die geht bei diesem Projekt sonst nämlich allzu oft im Mix unter, der hier auch schon bald wieder vollorchestriert und opulent geschichtet übernimmt. Würde man das Stück akustisch downstrippen, es klänge wie eine Tom-Waits-Ballade, derweil die vielen, die allzu vielen Synthieschichten immer ein wenig an Plastikspielzeug und Kaugummiautomat erinnern.

LIUN-Vom Fahrtwind-wehendes-Haar-Foto-Dovile-Sermokas
Vom Fahrtwind wehendes Haar [Foto: Dovile Sermokas]
Krasser Kontrast dazu: LIUN-Lieblingsstück „Bloody Breakup“ mit seiner hochvolatilen, eigentlich unsingbaren Mermaid-Melodie, das in ebenso hohem Maße mesmerisiert wie das kongeniale Saxophonsolo. Jetzt kann gar nichts mehr schiefgehen – und geht es auch nicht, denn mit der Vorab-Single „In The Zone“ folgt eine nachgerade discohaft-fröhliche, nicht minder soghafte Nummer, zu der man einfach nur einen Cabriotrip ins Ungewisse unternehmen möchte, um die hier einmal mehr aufgeworfenen Fragen nach Lebenlieben und Lächelnmachen aus einer tiefen Zufriedenheit und mit vom Fahrtwind wehenden Haar zu bejahen.

Die in den Sonnenuntergang cruisenden Helden wären ein schöner Schlusspunkt, den Cadotsch und Slavin mit „So Long“ aber noch toppen: Was sich seltsam unwirklich, schwebend, gar sphärisch anlässt, irrlichternd wie ein surreales Gemälde, wird zunächst von Cadotschs Gelassenheit geerdet, bis auch sie sich vom Celestialen verführen lässt, mit der Musik in die Stratosphäre abhebt und dort mit sanftem Knall entschwindet. Lässt mich das mein Leben lieben? Aber sowas von!

Kaufen, hören, glücklichsein.

Victoriah Szirmai
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Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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