Musik-Tipp: Fink – The LowSwing Sessions

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Mehr Wärme, mehr Tiefe, mehr Nachdruck, mehr Reife

Fink | The LowSwing Sessions

[Label: LowSwing Records]

Lieblingsleser ahnen es: Im Hause Szirmai wird eine nicht gerade kleine Vorliebe für die Produkte aus Guy Sternbergs LowSwing Studios gehegt. Da wäre nicht nur der großartige Sampler Framed 2022, der von Sternberg auf analoges Tape gemastert wurde, sondern auch Yael Nachshon-Levins letztjährige Veröffentlichung Tigers & Hummingbirds, die aus der Hexenküche des Vintage-Sound-Experten stammt. Was viele nicht wissen: Sternberg ist nicht nur der unangefochtene Meister des analogen Recordings auf Original-Equipment, sondern auch ein ebenso warmherziger wie großzügiger Gastgeber. Beide Eigenschaften vereinten sich in einer Einladung, die mir im Februar 2024 in den – zugegebenermaßen: digitalen – Briefkasten flatterte. Hier bat der Wahlberliner Israeli zu einer Listening Session zum Release-Day der neuesten LowSwing-Veröffentlichung, genauer: von Fin „Fink“ Greenalls exklusiv auf Vinyl erscheinenden Platte The LowSwing Sessions.

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Eingerahmt von guter Gesellschaft, levantinischem Fingerfood und einem schier nicht enden wollenden Vorrat an Wasser, Wein und Bier durften die Geladenen wahlweise Platz nehmen im mit Teppichen wohnlich eingerichteten Aufnahmeraum oder im unfassbar gut klingenden und überdies mit einem weichen Sofa ausgestatteten Kontrollraum des legendären Kreuzberger Tritonus Tonstudios, das nicht nur musikalische Heimat von Künstlern wie Nick Cave, Erasure oder Element of Crime war und ist, sondern nach dem verheerenden Brand der alten Wirkstätte Sternbergs auch neuer Unterschlupf von LowSwing. Ich entschied mich für den Kontrollraum, was mit einem „This is the good room!“ vom Gastgeber goutiert wurde.

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Guy Sternberg [Foto: Katha Mau]

Das während des Brandes zerstörte Vintage-Equipment konnte mittlerweile nicht nur komplett ersetzt werden – laut Sternberg sind die neu errichteten LowSwing Studios „better than ever“, wovon sich die Gäste direkt vor Ort überzeugen konnten: In Anwesenheit des Künstlers, der auf The LowSwing Sessions gemeinsam mit einer Handvoll grandioser Mitstreiter, darunter David Bowies Black Star-Bassist Tim Lefebvre, wurde die Nadel im Kontrollraum von keinem Geringeren als Matthias Lück von Brinkmann Audio aufs Allerheiligste gesetzt. Das kommt hier in Form des bis dato noch jungfräulichen Vinyls der in einer handnummerierten Auflage von 1.000 Stück erschienenen Deluxe-Edition der Sessions daher, die unter 45 Umdrehungen die Minute die sieben Stücke auf vier ganzen Plattenseiten verteilt. Unter diesen einhundert Prozent analog und computerfrei in nur zwei Tagen aufgenommenen, innerhalb eines Tages gemixten, in George Martins AIR Studios in London gemasterten und bei Optimal Media gepressten Stücken finden sich Remakes zweier bereits auf älteren Platten erschienenen Fink-Songs und fünf Interpretationen von Stücken anderer Künstler, die er mag.

Mit einem simplen „Let‘s listen to it!“ wird die Session eingeleitet. Akustische Gitarrenklänge und atmosphärische, naturnahe Geräusche, in denen man sich sofort gut aufgehoben fühlt, fluten den Raum. Dann Finks Stimme, die hier zunächst sanfter, wenn nicht gar fragiler, aber auch etwas weniger unverwechselbar daherkommt, als sie von der intim-angedüsterten Überplatte Biscuits for Breakfast (2006) im Ohr ist, womit der zigarettenheisere Brite, der den Delta Blues hat, einem modernen Singer/Songwriter Platz gemacht zu haben scheint. Vielleicht liegt dieser Eindruck auch schlicht an der Komposition, denn beim Opener haben wir es mit „Modern Love“ von David Bowie zu tun, der unter Zuhilfenahme eines gedämpften, rumpelig-rohen und gerade deshalb exzellenten Schlagwerks den Ton vorgibt für Handgemacht-Tiefenentspanntes, wobei „entspannt“ hier keine Scheißegalattitüde zeitigt, sondern eine gewisse Abgeklärtheit, ja: Weisheit von einem, der nicht mehr alle Kämpfe kämpfen muss, die sich ihm anbieten.

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Meister am Mischpult [Foto: Katha Mau]

Doch schon Track zwei, Soundgardens „Black Hole Sun“, aber erinnert mit seinen Bass-Slides, vor allem aber mit dieser eindringlichen In-your-face-Stimme an den Fink früherer Jahre – und schon jetzt kann man sich auch sicher sein, dass diese das Original um Klassen übertreffende Interpretation, die den Song endlich, endlich so klingen lässt, wie er schon immer gemeint war (Sorry, Chris Cornell!), das Highlight dieser Platte ist. Ein Eindruck, der von diesem super-distorted Solo im letzten, dramatischen Songdrittel, dessen Quelle sich keinem konkreten Instrument mehr zuordnen lässt und das mit sehr viel gutem Willen von einer Gitarre, die in die Steckdose gefasst hat, herrühren könnte, lediglich weiter verstärkt wird. Und damit ist Seite A auch schon rum.

Seite B beglückt mit schrammeligem Delta-Blues inklusive Johnny-Winter-Gedächtnisgitarre, der wie geschaffen als emotionaler Türöffner nach „Black Hole Sun“, recht eigentlich aber „You Gonna Take Stick And Die“ aus der Feder von Muddy Waters ist. Weiteres zum Wiederrunterkommen ist im traumschönen „Long Distance Love“ des in den Siebzigern jung verstorbenen Folkrockers und Little Feat-Frontmanns Lowell Thomas George gefunden, das einmal mehr mit diesen Slide-Geräuschen, die mich immer an die Southernness früher Cassandra-Wilson-Platten erinnern, aufwartet. Eines dieser leicht angeshuffelten, verschleppten Stücke, die sich anfühlen wie ein Waltz, obwohl sie keiner sind, und einfach nur eines machen: unfassbar froh.

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Wohnzimmer Atmosphäre mit Fink [Foto: Katha Mau]

Umdrehpause. Die dauert diesmal ein bisschen länger, da Platte eins wieder zurück in ihre schützende Hülle und Platte zwei erst einmal aus dieser herausoperiert werden muss. Das gibt nicht nur genügend Zeit zur neuerlichen Getränkeversorgung, sondern auch zum Reflektieren und Nachspüren. Zwischenfazit: So wohl habe ich mich in einer Musik schon lange nicht mehr gefühlt. Meine Mithörer*innen scheinen das genauso zu sehen, denn ab und an brandet ein von wohlwollenden Zwischenrufen sekundierter Szenenapplaus auf, als wäre man live im Konzert.

Dann liegt Seite C auf dem Teller. Die pirscht sich mit dem The Smiths-Klassiker „What Difference Does It Make“ erst einmal unter viel semi-nervösem Fingerpicking vordergründig harmlos, aber auch etwas seelenwund an wie ein Road-Movie-Soundtrack, der diese unbestimmte Sehnsucht nach weg, nur weg in Klänge fasst. Doch ist man erst einmal da statt weg, ist es auch wieder nicht richtig, denn richtig ist’s nur unterwegs – und zwar so lange, bis man endlich in und bei sich selbst angekommen ist, was es dann egal macht, wo man sich räumlich befindet, weil man den Sehnsuchtsort im Sinne eines mobilen, aber beständigen Zuhauses bereits in sich trägt. Die eingangs vernommene Harmlosigkeit, die tatsächliches Moll klingen lässt wie gefühltes Dur, löst sich spätestens im sich hier very British präsentierenden, nahezu lakonischen Gesang auf, angeheizt von der wildgewordenen Bratsche des ansonsten die Stromgitarre rührenden Thomas Moked-Blums, die klingt, als hätte eine Handvoll pubertärer, aber hochbegabter Hardangerfiedeln beschlossen, in einer Punkband zu spielen.

Zurück in klassische Bluesgefilde amerikanischer Provenienz mit modernem Twist führt „Trouble’s What You’re In“, der als Opener auf Finks 2007er-Studioalbum Distance and Time zu hören war. Gegenüber dem Original wartet die Nummer 2024 mit einem prägnanteren Rhythmus, einer ob des Wegfalls allen dezent enervierenden Electro-Geschnassels zumindest gefühlten Verlangsamung und einer Wohlfühl-Zweistimmigkeit im Refrain, insgesamt also einer gelungenen Akustifizierung auf, die ihr mehr Wärme, mehr Tiefe, mehr Nachdruck, kurz: mehr Reife verleiht. Coming of age eines Songs, wenn man so will. Und je länger der andauert, desto mehr Sogkraft entwickelt er, womit er den bisherigen Albumfavoriten „Black Hole Sun“ mit Abstand schlägt.

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Fink [Foto: Katha Mau]

Und damit sind wir auch schon auf Seite D angekommen. Nicht nur ist diese die einzige der vier Plattenseiten, auf der nur ein einziges, dafür aber überlanges Stück zu hören ist – auch verblüfft ihr Stil, der dem während der Listening Session eifrig seine Gedanken notierenden Kritiker ein niedergeschriebenes „Ach, guck!“ entlockt: Schließlich battlen sich auf „Q And A vs. Brown Paper Bag“ das klassische Blues-Sujet People wanna know, they wanna know, just how old I was, when I left home von Finks „Q&A“ aus seinem 2009er-Album Sort of Revolution und der 1997er-Drum&Bass-Szenehit „Brown Paper Bag“ des Bristol Sound-DJs Roni Size, was der bislang warmen Lagerfeuerdunst verströmenden Platte auf den letzten Metern einen retrofuturistischen Twist gibt, wo sich Drum&Bass-Grooves munter mit psychedelischen Dancehall-Echos paaren. Ferner mit dabei: ein ohrenscheinlich direkt aus den Fünfzigern importierter LoFi-Rock’n’Roll-Puls und einige Marcus-Miller-Slaps straight outta Eighties, die in trauter Eintracht Kraftwerks „Autobahn“ entlangdüsen, während Alabaster dePlume aus den Boxen dröhnt. Irre. Das passt überhaupt nicht zusammen – und passt eben deshalb perfekt.

Und dafür gibt es lediglich zwei Erklärungen: Entweder hat sich die Zuhörerschaft an den während der Listening Session großzügig ausgeschenkten geistigen Getränken allzu gütlich getan. Oder diese verdammte Platte wird mit jedem Stück *noch* besser, was eigentlich gar nicht mehr sein kann, um beim Closer die absolute Spitze zu erklimmen, derweil Fink himself mit der ihm eigenen Beiläufigkeit, aus der er seine Eindringlichkeit zieht, den Hohepriester gibt, der uns predigt, was Leute wissen wollen, was ihm egal ist und was das lyrische Du zu tun hat. Rennen, nämlich. Dramaturgisch gesehen ist der Siebenminüter in seiner hervorstechenden Andersartigkeit, der die Platte trotzdem oder gerade deshalb wunderbar zusammenhält, ein idealer Closer.

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Mastering-in-London

Bleibt nur noch zu fragen, welches Exemplar des Albums man seiner Sammlung einverleiben soll. (Keines ist keine Option.) Sternberg dazu: „Die Deluxe-Version ist mit ihrem Centerfold nicht nur haptisch ein schönes Sammlerstück, ihre 45 Umdrehungen pro Minuten machen sich in Sachen Dynamik und Tiefe klanglich durchaus bemerkbar. Der Nachteil: Man muss sie öfter umdrehen, was bei der Standard-Version nur halb so oft nötig ist.“ Wenn man keinen eigenen Plattenaufleger und -umdreher sein Eigen nennen kann, ist dies sicherlich ein nicht zu vernachlässigender Aspekt.

Für welche Variante man sich auch entscheidet: Beide lassen sich im Shop von LowSwing Records erwerben, je nach Präferenz (und Budget) entweder hier: https://lowswing-records.com/home/33-fink-the-lowswing-sessions-deluxe-edition.html (auf Ebay und einschlägigen Sammler-Portalen jetzt schon für 99 Euro gehandelt) oder hier: https://lowswing-records.com/home/34-fink-the-lowswing-sessions-deluxe-edition.html. Ob man nun dem Klang oder der Bequemlichkeit den Vorzug gibt: The LowSwing Sessions sind ein absolutes Must Hear des – gar nicht mehr so – jungen Jahres 2024.

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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