Musik-Tipp: KOOB – That Tree

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Musik, Männer und Vögel

KOOB | That Tree

(KOOB)

Der Hochsommer 2023 steht bei HiFi-IFAs ganz im Zeichen der suggestiv-verwunschenen Frauenportraitplattencover: Zog uns noch im Juli Yael Nachshon Levin mit ihren Tigers and Hummingbirds tief in ihren Dschungel hinein, beißt auf KOOBs That Tree-Artwork eine moderne Eva aus der Feder der georgischen Illustratorin Kristina Ivantsova – wenn auch nicht unbedingt lustvoll, so jedenfalls äußerst nachdrücklich – in einen verführerischen Apfel.

Knackig-beißend präsentieren sich dann auch die Klänge des Six-Track-Albums des Quintetts um die in ihrem Heimatland Belarus als „Soul Princess“ gefeierte Sängerin Valeria Dele aka KOOB, die mittlerweile nicht nur zwischen Retro und Nu Soul, sondern auch zwischen Jazz, Folk, Funk, Spoken Word, Avantgarde und Noise mäandert. Kein Wunder, ist That Tree doch Reflexion und Spiegel ihres mit Umzug nach Berlin 2020 komplett auf den Kopf gestellten Lebens, geprägt von Krisen und Enttäuschungen, vor allem aber Veränderungen jeglicher Art. Der Berlin-Faktor führt bei KOOB zur intensiven Auseinandersetzung mit, wie sie selbst sagt, „Feminismus, menschlicher Gier, Musik, Männern und Vögeln“, zu verdanken einem satten Happen vom Baum der Erkenntnis, der KOOB erstmals wirklich spüren lässt, wohin sie mit ihrer Musik grundsätzlich will. Und das hört man auch.

cover-KOOB-That-Tree

Zunächst gibt sich der gut zehnminütige Opener „Greed“ mit seiner ambientigen Horrorsoundtrackkulisse, deren subtiles Unbehagen von vereinzelten Pianosprengseln verstärkt wird, noch verhalten, erfährt jedoch spätestes mit KOOBs lüstern-tiefergelegtem Sprechgesang – mit dem sie eindringliche Habenwollen-Zeilen wie I wanna get it, I wanna get it fast intoniert, die in verzweifelte Ausrufe, spitze Schreie und schlussendlich ein einziges großes Summen im Kopf kumulieren, dem sich nur mit dem inständigen Wunsch, es endlich auszuschalten, begegnen lässt – eine Steigerung, die nicht nur aufs Volumen bezogen ist, sondern vor allem auf das Ausdrucksspektrum, das sich die Möglichkeiten der menschlichen Stimme begierig zunutze macht, während Jarrah Dhyhan an der Gitarre, Hakim Azmi an den Tasten, Chris Sergeant am Bass und Lenny Rehm am Schlagzeug ihren Instrumenten Klänge jenseits der konventionellen Palette abtrotzen.

Gänzlich unavantgardistisch dagegen kündigt sich „Knockin‘“ mit einer Art Soul-Reggae-Groove und dominierendem Funk-Bass an. Die Frustration, ja: Verzweiflung indessen bleibt auch hier tonangebend, öffnet doch derjenige, bei dem angeklopft wird, einfach nicht seine Tür, sodass die Klopfende unverrichteter Dinge wieder abziehen muss, bis sie ihn fünf Jahre später nochmals aufsucht, um die obszöne Seite des Jazz-Standards „What’s New“, gehüllt in einen basslastigen, dank Tastenwolken aber dennoch watteweichen Soulparlor-Groove, der sich in jedem After Work Club der Jahrtausendwende wohlgefühlt hätte, F-Wort-reich offenzulegen.

Die Vorliebe für tief in der Soul- und Funkgeschichte fischende Basstöne, konterkariert von NuSoul-Keys à la Erykah Badu, die sich mit zunehmender Wut über jene flügelstutzende Erziehung, die Mädchen oftmals immer noch zuteilwird, zu hochgiftigen Acid-Synth-Kaskaden auswachsen, bleibt auf „No Condescendance“ erhalten. Die zweite Version von „Knockin‘ (Hard)“, auf der KOOB zunächst wie die Reinkarnation einer (weniger besoffenen) Amy Winehouse klingt, wiegt dagegen in retroselige Unplugged-Sicherheit, bevor sich ihr Gimme that gimme that gimme-Refrain ins Hirn gräbt, um an ungeeigneter Stelle, zum Beispiel kurz vor dem Einschlafen, wieder aufzutauchen und seine wachhaltenden Kreise zu ziehen – wie die bird noises, die snakes und all the animals that are there, die den neverending buzz in my head auf der – ebenfalls gut zehnminütigen – Greed-Reprise „Greed x 10“ verursachen, die sich mehr noch als der Opener in Richtung Improvisation und Performance bewegt und damit das (neben Weltberühmtheit) zweite KOOB-Wunschziel von „Gummidelfinen als Background-Tänzer“ absolut realistisch erscheinen lässt. Spannendes Berlin-Debüt mit viel Potenzialraum zwischen souligen Sounds und Punk-Attitüde!

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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