Musik-Tipp: Angekommen – Jeanette Hubert „Home“

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Angekommen

Jeanette Hubert | Home
(Waterfall Records/Broken Silence)

SINGER/SONGWRITER Schon On The Run, das auf Ozella Songways erschienene 2011er-Debüt der Berlinerin Jeanette Hubert, präsentierte sich als bluesiges Singer/Songwriter-Album mit supereingängigen Ohrwurmmelodien, die gar nicht ätherisch sein wollten, sondern erdig und heimelig wie frisch gebackener Apfelkuchen, der an einem Sonntagnachmittag unversehens auf dem Tisch steht und nach Kindheit duftet. Genau wie damals stimmt auch Home, das das Zuhause-Gefühl schon im Titel hat, schlicht froh. Mehr noch: Es wärmt.

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Gleich der Opener „By My Side”, Soundtrack absoluten Commitments im orgelgefluteten Sechsachteltakt, zaubert mit trauten Gitarrenklängen und tröstender Stimme dieses bittersüße Lächeln auf die Lippen, diese gewisse Melancholie, die auch im allerwärmsten Wohlgefühl mitschwingt wie bei jedem guten Klassiker des Great American Songbooks, derweil „What Is Real“ einem zarten Erkunden des gegenüberischen Grundgefühls gleichkommt. Noch zarter, zögerlich vorwärtstastend gar, kommt „All I Know“ daher, das die grundlegenden, die ernsten Themen einer Verbindung anspricht, die viele nicht einmal zu denken, geschweige denn zu fragen wagen: Would you leave me if you could read my mind? Would you still hold me if I died tonight? Kurz: Wüsstest du um meine größten Schwächen, meine tiefsten Geheimnisse, würdest du mich immer noch lieben?

Mal erinnert das Album – etwa mit dem nahezu hymnischen „Of Keepers And Runners“ – an Carole King, dann wieder – wie im Chorus von „Nowadays“, haben wir es hier doch mit dem himmelgesponnensten Stück von Home zu tun, geerdet allein durch die Band und die immerunaufgeregte Stimme Huberts selbst – an Kate Bush, während Songs wie „Hurricane“ trotz vocoderangezerrtem acappella-Auftakt und Nicht-von-dieser-Welt-Distortion samt Cello im klassischen Americana zu verorten sind.

Gitarre und Stimme, Mehrstimmigkeit und Mondlicht sind die Zutaten, aus denen Hubert in der Tagtraumballade „Moonlight“ ihr Zuhause baut, während „Strangers“ klanggewordenes Bedauern ist: Man trifft einen Menschen, mit dem man sich den Erinnerungen an gemeinsam verbrachte, frühere Zeiten hingeben wollte, muss aber feststellen, dass man sich so sehr auseinanderentwickelt hat, dass allein der Versuch im Streit endet. Man hat sich nichts mehr zu sagen, ist sich fremd, obwohl man sich in seinen eigenen Augen gar nicht verändert hat. Unwillkürlich fragt man sich, ob auch der andere von sich denkt, er habe sich doch gar nicht verändert. Ja, auf Melancholie versteht Jeanette Hubert sich – und auch darauf, sie gleich wieder zu vertreiben, wie etwa mit dem fröhlichen Mitwipper „Finding Love“, perfekter Soundtrack zum Nachbacken des weiter oben erwähnten Apfelkuchens.

„Us“ entspinnt sich von cassandrawilsonesk erdig-schwer zu luftig-leicht, womit es dem Closer und gleichzeitigen Albumhöhepunkt „Homeless“ Tor und Tür öffnet: Ach, das Weh! Hier fällt jemandem spät – und hoffentlich nicht zu spät – ein, dass er gar nicht mehr frei sein möchte, wenn das bedeutete, ohne den anderen zu sein. Obwohl das Stück gar keine magenumdrehende Liebeskummerballade im eigentlichen Sinne ist, raubt es schier den Atem, ganz so, wie die besungene Erkenntnis, die einen plötzlich befällt und das ganze bisherige Lebenskonzept verwerfen lässt. Die, dass man angekommen ist. Zuhause.

Jeanette Hubert hat das große Talent, ihr Graben in tiefen Seelengründen in erstaunlich einfache, dafür umso treffendere Worten und Metaphern zu fassen. Verglichen mit dem Debüt haben ihre Geschichten zu einer neuen Dringlichkeit, wenn nicht gar Unbedingtheit gefunden, erzählt von einer Stimme, die einer sehr vertrauten Person gehören könnte, weil sie einfach für einen da ist und sicher durch alle emotionalen Höhen und Täler nach Hause begleitet.

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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