Musik-Tipp: Theo Croker – By The Way

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Widerstehen und Fallenlassen

Theo Croker | By The Way

(Masterworks/Sony Music)

Er gilt als Enfant Terrible der Jazztrompete: der 1985 in Florida geborene Theo Croker. Schließlich ist er jung, wild und hält sich nicht an Regeln. Genauso begegnete er mir auch zuletzt während der zwei-tägigen Gala-Feierlichkeiten zum 30. Geburtstag von ACT-Records. Hier ließ der Grammy-nominierte Trompeter bei seiner Nummer, die Gastgeber Nils Landgren an der Posaune dann tapfer im Duett statt im angekündigten Trio spielte, vergebens auf sich warten und stolperte erst leicht verpeilt, was den kürzlichen Konsum benebelnder Substanzen nicht ganz ausschließen ließ, zum großen Finale auf die Bühne.

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Auftritte dieser Art kann er sich leisten, denn wenn Croker dann mal spielt, sind seine dichtgewebten Klangnetze, die durchaus als moderne Interpretation von Spiritual Jazz durchgehen könnten, über sämtliche Kritik erhaben. Davon zeugen nicht nur die letztjährigen, ebenfalls auf ACT erschienenen Sketches of Miles aus der Reihe Jazz at Berlin Philharmonic mit dem Theo Croker Quartet sowie Mitgliedern der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Magnus Lindgren und sein mit dem Statement „Jazz Is Dead“ eröffnendes Tiny Desk Concert, wo er sich mit seinem „unmistakable air of chill“ auch erfolgreich als Rapper versucht, sondern vor allem auch die jüngsten Soloalben: das Herkunft, Gegenwart und Zukunft der Black Music auslotende, afrofuturistische BLK2LIFE – A Future Past (2021), das mit Gaststars wie Wyclef Jean oder Ari Lennox aufwartet, sowie dessen 2022er-Fortsetzung Love Quantum, wo sich Kollaboratoren wie Jill Scott, Jamila Woods, Drummer Kassa Overall und einmal mehr Ex-Fugee Wyclef Jean die Klinke respektive das Mikro in die Hand geben und das an seinen besten Stellen an das legendäre Hard Groove von Roy Hargrove mit The RH Factor erinnert.

Auch auf Crokers − ganz ihrem Titel gemäß als beiläufiger Nachsatz zum Albumdoppel zu verstehender – digitaler 5-Track-EP By The Way, die er gemeinsam mit der britischen Souljazz-Singer-Songwriterin Ego Ella May veröffentlicht, mit welcher er bereits auf BLK2LIFE kollaborierte, ist die Liste der Gaststars länger als die der Lieder, derweil sich Croker weiterhin zuverlässig Genrebeschränkungen verweigert und seine Idee von Jazz auf elektro-akustischen Grund baut, der sowohl die (Funk-)Klänge der von ihm imaginierten Sixties wie zeitgenössische HipHop-Beats als Grundsteine nutzt. Als „exploration of love, heartbreak and self-discovery“ angekündigt, eröffnet die EP mit der auf Afrorhythmen basierenden Selbstdarstellungshymne „Theo Says“, welcher die soften Millenniums-Klangflächen von Produzent D’Leau das allzu Nervöse nehmen, während sie den sultry vocals von May ein warmes Soundbett bereiten, wohingegen Croker selbst seine gedämpften Trompetentupfer, die eher kommentieren als leiten, so überraschend wie wohltuend zurückgenommen in die butterweiche Groovetextur webt.

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Theo Croker (Foto: Obidigbo Nzeribe)

„Slowly“ kommt wie durch Honigmasse hindurch angeschlichen, zähflüssig, aber wundervoll süß – und auch ziemlich surreal dank den dauerwiederholten Refrainschleifen Mays, die mindestens so sehr in Trance spielen wie Crokers Zeilen. „If I Could I Would“ dagegen besticht mit präsentem Whoah-Bass über vertrackt-verstimmtem Gewaber, worüber am Ende Crokers metallisch strahlendes und dennoch tiefenentspannt-minimalistisches Solo erblüht. Urbanes Feeling bringt das hektische „Good Day“, dessen inhärente Nervosität die Auftaktzeile Take a deep breath ad absurdum führt, möchte man hier doch lieber vor lauter Anspannung die Luft anhalten, wenn May in lakonischer Abzählreimmanier ihre Strophen zum Besten gibt, bevor sie einen mit den suggestiven Refrains dann doch noch einfängt.

Der mit dem weichen Twang angezerrter Vocals in ihren Bann ziehende, düstre, in Zeitlupe zwischen Cinematographie und Goth Rock oszillierende Closer „Somethin‘“, von dem Bohren wünschte, er wäre ihm für seinen Club of Gore eingefallen, nimmt nicht zuletzt dank einer superspacigen Black Rock-Gedächtnisgitarre pinkfloyd’sche Ausuferungen an, unter denen ein einmal mehr nervöser D&B-Groove Platz findet, bevor sich Croker und May neckend umschmeicheln, wie beiläufig zueinander finden und sich wieder absichtsvoll voneinander zurückziehen, kurz: ein perfektes Spiel mit Lockung und Verwahrung, Nähe und Distanz, Jagen und Folgen, Widerstehen und Fallenlassen treiben, was die EP zu weit mehr als nur einem „Ach, übrigens noch“-Postskriptum macht.

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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