Lässt man sich durch die Open Stages der Hauptstadt treiben, stellt man schnell fest: Hier gibt es neben viel Unausgegorenem auch eine Menge Talent. Wer aber Lotta St Joan schon mal auf einer dieser Bühnen erleben durfte, merkt schnell, wie dünn die Höhenlagen tatsächlich besiedelt sind.
Nach Zwischenstationen in einem Bluegrass-Projekt und einer eigenen Band namens „bllanks“, die in einem deutlich poppigerem Revier gewildert haben, veröffentlicht die junge Berlinern mit ihrem Debutalbum „Hands“ ein puristisches Folkalbum, dem man die urbane Herkunft noch nicht einmal in Ansätzen anhört. Von ihr komplett alleine zuhause aufgenommen und produziert in den stillen Nächten des letzten Jahres ist dieses Album aber trotzdem kein mittlerweile klassisch gewordenes „Lockdown“-Projekt. Instrumentenseitig reduziert auf Gitarre, Klavier; teilweise beeindruckend elaborierten Background-und Harmony-Vocals sowie ein paar ornamentierenden Streichern wohnen wir dem Zerbrechen einer Beziehung bei und dem Leid, das daraus folgt. Der Opener „Stay home child“ verortet das Geschehen erstmal zuhause. „Stay home child / there’s nothing for you / to find“. Und von dort aus geht es abwärts; eine Talfahrt aus Verzweiflung und Selbstzweifeln, schonungslosen Einsichten und Eifersucht, Hoffnung und Enttäuschung. Grade hier ist die dichterische Fallhöhe besonders groß, aber Lotta St Joan umschifft in ihrer Lyrik gekonnt jede Untiefe (auf die die im Booklet abgedruckten „Haikus“ ihrer Mutter mit ihrer kitschigen Naturästhetik übrigens ungebremst auflaufen).
Auch musikalisch kann ein zu intimer Einblick in persönliche Desaster schnell unangenehm werden; hier aber schützt die gesangliche Reife St Joans und das Vertrauen in das eigene Material vor übermäßigem Pathos. Dankenswerterweise verzichtet sie auch völlig auf mittlerweile so verbreitete Manierismen; einzig ein hauchdünn überzogenes, aber immer perfekt gesungenes Vibrato (das sicher nicht nur zufällig an ihre Namenspatronin Joan Baez erinnert) lässt aufhorchen, bindet aber wie ein ungewöhnliches Accessoire immer wieder die Aufmerksamkeit des Hörers. Es lassen sich Vergleiche zur frühen Joni Mitchell ziehen, aber auch eine intensive Beschäftigung mit zeitgenössischen Folkies wie dem Solowerk von Adrienne Lenker oder Haley Heynderickx steht zu vermuten; aber Lotta St Joan bewahrt sich stets ihre Eigenständigkeit.
„Hands“ ist nicht nur in kompositorischer und gesanglicher Hinsicht ein bemerkenswertes Debutalbum. Dieses auch noch im Alleingang so zurückgenommen und emphatisch zu produzieren, zeugt von einer außergewöhnlichen künstlerischen Vision, die noch interessante Ergebnisse verheißt. Einzig die abgedruckten „Haikus“ ihrer Mutter muten befremdlich an, was aber dem Gesamteindruck keinen Abbruch tut.
Sicher lässt sich das alles schnell als „Therapie-Album“ abtun. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass sich „Break-Up-Albums“ durchaus als eigenständiges Genre etabliert haben und sich „Hands“ hier nicht nur in guter Gesellschaft befindet, sondern auch Substanzielles beizutragen hat.
Mehr zu Lotta St Joan
Die Lieder sind auf vielen Streamingportalen abrufbar. Mehr zur Künstlerin unter www.lottastjoan.bandcamp.com/album/hands.