Ein Jahr neigt sich wieder dem Ende entgegen. Kurz vor Weihnachten gibt sich, wie schon in den Vorjahren, das Mariinsky Ensemble aus Sankt Petersburg ein Stelldichein in Baden-Baden mit einem Ballett aus dem Repertoire von Pjotr Iljitsch Tschaikowski. Dieses Jahr sollte uns nach Vorschusslorbeeren aus den Vorjahren mit „Nussknacker“ und „Schwanensee“ das Ballett „Dornröschen“ bezaubern.
Ich gebe zu, Ballett ist nicht mein Steckenpferd und tanzende Männer in Strumpfhosen waren mir in der Phase meiner Adoleszenz eher suspekt. Aber über die Jahre habe ich meine Liebe zur Klassik entdeckt und damit ebenso das Ballett – auch wenn sich meine Vorstellung von Männermode nicht wesentlich geändert hat 😉
Für uns gab es heuer gute Gründe, ein Billet in Baden-Baden für das mit 2500 Plätzen größte Opernhaus Deutschlands zu lösen: Zum Einen mag ich die Musik Tschaikowskis. Der Weg alles Klassischen führt in der Musik am „Nussknacker“ oder „Schwanensee“ kaum vorbei. Die Musik beider Balletts bereiten auch dem klassisch eher ungeübten Ohr viel Freude.
Zum Anderen führt, wie eingangs erwähnt, das Tanz-Ensemble und das Orchester des Mariinsky-Theaters aus Sankt Petersburg das „Dornröschen“ Ballett auf. Bei unserem Besuch in Moskau und Sankt Petersburg haben wir zwar eine Wagner Aufführung im Bolschoi-Theater erleben dürfen. Das Mariinsky-Theater haben wir aber nur von außen gesehen. Da das Ensemble Weltruf genießt, wollten wir uns die Gelegenheit in Baden-Baden nun nicht entgehen lassen. Zudem war mir die Musik von Dornröschen nicht geläufig, so das es wieder Neues zu entdecken gab.
Vom Stuttgarter Raum ist Baden-Baden einen Tagesausflug entfernt – der den Weg allemal Wert ist. Baden-Baden hat mit seiner üppigen Jugendstil Bausubstanz, einem Kurhaus, einer Spielbank und eben dem Festspielhaus nebst entsprechendem Publikum recht mondäne Züge, in die man auch als Besucher gerne eintauchen mag. Und ist es auch nur für einen Tag. Das Festspielhaus ist vordergründig das alte Bahnhofsgebäude, das bewusst im konzeptionellen Entwurf des Festspielhauses erhalten wurde. Es beherbergt unter anderem den Kartenverkauf, über dem immer noch der Schriftzug „Fahrkarten“ prangt, und ein hervorragendes Restaurant, das rechtzeitig vor Beginn der Veranstaltung die Türen für den hungrigen Teil des Publikums öffnet.
Das eigentliche Konzertgebäude ist, historisch betrachtet, ein Anbau an das alte Bahnhofsgebäude, das sich trotz moderner Architektur und überragender Größe wunderbar dezent in das Bild der Umgebung einfügt. Das Festspielhaus wurde 1998 eröffnet und ist das zweitgrößte Konzerthaus Europa – allerdings ohne eigenes Ensemble. Der Spielbetrieb wird von einer engagierten privaten Stiftung finanziert. Baden-Baden verbindet man mit Russland und russischen Gästen, so dass es fast nicht verwunderlich ist, das alljährlich das Sankt Petersburger Mariinsky Ensemble zum Spiel ins badische Städtchen eingeladen wird.
Die vierstündige Vorstellung am 21.12.2019, die von drei Pausen angenehm unterteilt wurde, war die Premiere von „Dornröschen“ in der kurzen Spielzeit in Baden-Baden. Dementsprechend war die Vorstellung ausverkauft und das Haus von erwartungsvollem Publikum bestens besucht. Tatsächlich sah ich einige bekannte Gesichter, die belegten, das manche Besucher aus dem Stuttgarter Raum den Weg gefunden hatten. Die Autokennzeichen in der Tiefgarage zeugten zudem von internationalem – meist französischem – Publikum.
Auch ohne ein fachkundiger Kenner des Ballett-Tanzes zu sein, maße ich mir an festzustellen, dass das Wirken der Künstler auf der Bühne von offensichtlicher Exzellenz zeugte. Die Anmut, Präzision, Synchronität und Leichtigkeit der Darbietung von Solisten und Corps hat sich magisch von der Bühne auf das Publikum übertragen. Und das auch ohne einzelne Schritte und Figuren der Tänzer benennen zu können. Neben den Solisten, denen bei ihren Tänzen die ungeteilte Aufmerksamkeit gehörte, zeigten auch die größeren und kleineren Tänzer-Gruppen eine hervorragende Leistung. Es war eine Freude, jedem einzelnen auf der Bühne zu zu schauen, der seinen höchst professionellen Beitrag zum Gesamtwerk geleistet hat. Dazu zählt auch die Ballettgruppe der Kinder, die von der Ballett-Fachschule Ronecker einstudiert wurden. Ein Blick in die Gesichter der Kinder verriet, das sie mit konzentrierter Freude am Werke waren. Und auch die Bewunderung für ihre Vorbilder blitzte gelegentlich in den Augen durch, wenn die jungen Tänzer am Rand der Bühne ihren Platz fanden und dem Wirken zuschauen konnten.
Apropos Rand der Bühne. Die Dekoration war klassisch und prächtig wie die Kostüme. Ganz nach meinem Geschmack. Eben wie in einem Märchen. Gut und Böse waren leicht zu identifizieren. Islom Baimuradov, der die böse Fee mimte, die die ganze Dornröschen-Geschichte ja ins Rollen brachte, spielte ausdrucksstark mit schöner Gestik im Detail. Insgesamt wurde das Ballett prachtvoll gerahmt von einem amtlichen Aufgebot an Darstellern und Komparsen.
Das Geschehen auf der Bühne ist schnell erzählt: „Sie tanzen, dann schlafen sie alle ein, dann tanzen sie wieder“. So urteilte 1890 ein Kritiker nach der Uraufführung. (Quelle: Programmheft). Oder neumodisch noch kompakter zusammengefasst könnte man im Format eines T-Shirt-Aufdrucks sagen: DANCE – SLEEP – DANCE. Dabei erzählen der Prolog sowie der erste und zweite Akt die eigentliche Geschichte – bis zur geglückten Rettung der Prinzessin, dem erlösenden Kuss des Prinzen. Die Phase des 100-jährigen Schlafes gehört dabei allein dem Orchester des Mariinsky Theaters und der Violine – unter der Leitung von Gavriel Heine.
Der dritte Akt, die Hochzeitsfeier, ist als großes Tanzfest mit phantasievollen Kostümen und großem Aufgebot auf der Bühne angelegt. Die Freude am Tanz entlädt sich und bekannte Gestalten der Märchenwelt machen ihre Aufwartung bei Hofe.
Das war die Stunde der Solisten in der sie ihr Können dem begeisterten Publikum darboten. Vladimir Sklyarov als Prinz Désiré und Alina Somova als Prinzessin Aurora, aber auch athletisch mit großen Sprüngen Alexei Timofeyev als blauer Vogel mit May Nagahashi, der Prinzessin Florina. Lustige Rollen übernahmen das „weisse Kätzchen“ Yana Selina mit ihrem „gestiefelten Kater“ Fyodor Murashov und das „Rotkäppchen“ Anastasia Asaben, das vom „bösen Wolf“ Daniil Lopatin mit herrlicher, rot behandschuhter Grusel-Gestik in Atem gehalten wurde. Köstlich!
All die Namen oben nenne ich exemplarisch, ohne die Wertschätzung der Kunst der anderen Akteure unterwandern zu wollen, die nicht namentlich genannt sind. Das Ensemble unter der Leitung von Ballettdirektor Yuri Fateyev hat dem Baden-Badener Publikum einen famosen Ballett-Abend geboten, der mit großem Applaus gewürdigt wurde. Für mich ein großartiger Tag in Baden-Baden, der mit dieser Vorstellung von „Dornröschen“ vom Ensemble des Mariinsky Theaters im Festspielhaus gekrönt wurde. Der Merker im Kalender 2020 ist gesetzt.