Am Abend des 15.11.2019 war es mal wieder soweit: Die Einlösung meines diesjährigen Geburtstagsgeschenkes stand bevor. Ziemlich genau ein halbes Jahr habe ich mich auf das Konzert gefreut: Deine Lakaien 2019 im Scala Ludwigsburg. Für alle, die nachgerechnet haben: ja, ich habe im Mai Geburtstag 😉 Doch nicht nur, dass seit Übergabe der Konzertkarte sechs Monate ins Land gegangen sind, auch ist die Temperatur zwischenzeitlich um rund 20 Grad gefallen. Das Scala ist – gemessen am Prodigy-Konzert letztes Jahr im November in München – wieder ein halbes Heimspiel und liegt im Stadtzentrum Ludwigsburgs. Deshalb entschloss ich mich, trotz des nasskalten Wetters, am Abend klimafreundlich per S-Bahn anzureisen.
In der S-Bahn reflektierte ich auf dem Weg nach LuBu das Line-Up: Deine Lakaien, Helium Vola und Veljanov. Das Alexander Veljanov einer meiner beiden Lakaien war, wusste ich, konnte mir aber die tiefere Logik des Line-Ups trotzdem noch nicht recht erklären. Wahrscheinlich sang er auch Solo. Aber was bedeutet Helium Vola? Nun denn. Ich werde es erfahren.
Deine Lakaien sollte – mal abgesehen von Kari Bremnes – die erste Band werden, die ich ein zweites Mal live erleben sollte. Deshalb war die Vorfreude um so größer, habe ich Deine Lakaien doch schon 2011 live auf der Indicator Tour im Theaterhaus Stuttgart gesehen. Ebenfalls ein Geburtstagsgeschenk. Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Trotzdem hatte ich das Deine Lakaien Konzert noch in vitaler Erinnerung. Die „Mind Machine“ hallte immer noch nach in meinem akustischen Gedächtnis. Nun meinte ich also, ich wüsste Bescheid, was mich erwartet. Das war ja bisher meistens eher nicht der Fall…
Um 19:00 Uhr, also 30 Minuten bevor es los ging, traf ich meine Freunde im mit ca. 400 Plätzen ausverkauften Scala. Einmalig am Scala ist wohl die originale Kinobestuhlung aus den 1950er Jahren. Und in Sachen Konzertverlauf wurde ich alsdann eines Besseren belehrt. Statt der Electronic Dark Wave Besetzung erwartete mich das Acoustic Projekt. Hätte ich zuvor die Eintrittskarte wirklich aufmerksam gelesen, hätte ich einen klaren Wissensvorsprung gehabt. Desweiteren klärte sich auch das Line Up. Der Headliner war klar. Deine Lakaien. Alexander Veljanov und Ernst Horn. Ernst Horn und die Sängerin Sabine Lutzenberger bilden die „Mittelalter-Elektronik“ Band Helium Vola. Heute nur ohne Elektronik. Und Veljanov ist das Solo-Projekt von… Alexander Veljanov. Mehr Acts kann aus drei Akteuren kaum herausholen. Meine naive Vorfreude wandelte sich so schlagartig in gespannte Erwartung. Nun hatte ich keine Ahnung mehr von dem, was kommen sollte.
Das Konzert startete pünktlich um 19:30 mit Helium Vola – der 70-jährige „Lakai“ Ernst Horn am Flügel gemeinsam mit der Sopranistin Sabine Lutzenberger, einer der Pionierinnen des mittelalterlichen Gesangs. Die Lichtstimmung und die Musik passten klasse zum Charme des Veranstaltungsortes Scala Ludwigsburg. Ein schlichtes, aber schönes Setup. Und ein schönes Erlebnis, geprägt von einer Musik, die sich durch den fehlenden Kontrast der elektronischen Instrumentierung der ursprünglichen Kompositionen noch mehr auf die Stimme von Sabine Lutzenberger zu fokussieren schien.
Ernst Horn gab alles am Flügel. Er manipulierte durch gezieltes mechanisches Abdämpfen oder Verzerren einzelner Saiten den Sound des Instruments und gab ihm so einen eigenen Character. Eine zweite und dritte Stimme. Ein ebenso überraschendes wie begeisterndes Erlebnis. So einfach die Effekte schienen – man muss aber erstmal darauf kommen – zeichneten sie doch die Rhythmik der Musik sauber nach.
Aus dem Repertoire des eher gleichförmigen Minnegesangs stachen Titel wie „Omnis Mundi Creatura“ wie mittelalterliche Hits heraus. Jeglichem Geschöpf auf Erden oder zumindest mir zauberte „Selig“ mit der entrückten Sopran-Stimme im Refrain und dem ansonsten treibenden Gesang eine Gänsehaut auf die Haut. Zwei echte Anspieltipps zum Nachhören. Herrlich auch der Übergang zu Veljanov, der sich für einen Titel zu Ernst Horn und Sabine Lutzenberger gesellte. Veljanov nahm die Bühne, wie das Publikum, direkt für sich ein. Das Trio im Stile Helium Volas machte Spaß.
Für die Musik seines Solo-Projektes brachte Alexander Veljanov einen eigenen Pianisten und einen Gitarristen auf die Bühne. Er nahm das Publikum mit auf einen Streifzug durch sein musikalisches Schaffen, kommentierte launig die Songs und gab Einblicke in seine Gedanken und Motivation. Das machte mir Spaß.
Spaß machte mir auch die Anmerkung des knapp über 50 Jahre alten Veljanov. Er erzählte, dass Deine Lakaien bei ihrer Acoustic Tour 1995 bereits vor fast 25 Jahren das Abschlusskonzert im Ludwigsburger Scala spielten. Vor den Eltern des Publikums! Da musste ich schmunzeln. Eine schöne Vorstellung, dass sein Publikum immer coole zwanzig bleibt und die Fans von einst heut von ihren Sprösslingen abgelöst wurden 😉 Tatsächlich zeigte ein Blick in die Runde, dass wohl immer noch recht viele Fans von damals treu dabei waren. Es war ein vom Alter her gemischtes, tolles Publikum. Ein Publikum? Nein, Fans! Die das Gebotene zu schätzen und mit Applaus zu würdigen wussten. Auch dieses Konzert im Scala stellte, wie schon 1995, übrigens das Abschlusskonzert der Acoustic Tour dar.
Durch die markante Stimme Alexander Veljanovs war bei der Darbietung seiner Solo-Nummern nun vollends klar, dass wir langsam aus dem Mittelalter bei Deine Lakaien angekommen waren. Obgleich die musikalische Prägung in seinem Solo-Projekt noch deutlich mehr in Richtung Singer/Songwriter, fast schon ein bisschen Schlager tendierte. Einen kleinen Querschnitt bilden die Anspieltipps „The Sweet Life“, „Town by the river“, „Das Lied vom einsamen Mädchen“ oder „The Wind“.
Nachdem das Ludwigsburger Publikum musikalisch abgeholt war, fanden nach einer kurzen Pause Horn und Veljanov zu Deine Lakaien zusammen. Auch ohne elektronische Unterstützung bei der Instrumentierung war die Handschrift von Deine Lakaien absolut eindeutig. Natürlich leistete auch der charismatische Gesang Veljanovs und seine einmalige, ein bisschen selbstverliebte Art, sich und Deine Lakaien zu präsentieren, einen nicht unbeträchtlichen Beitrag.
Aber da war auch noch die treffliche Transkription der elektronischen Musik von Deine Lakaien auf das Klavier und die recht individuelle Spielweise Horns. Dies zeigte, wie durchdacht und ausgefeilt die Kompositionen des Avantgarde Duos sind. Die Songs huschten nur so durch den Abend und ehe wir uns versahen, neigte sich das Konzert dem Ende zu. Zur Zugabe fand sich nochmals das komplette Ensemble auf der Bühne ein und verabschiedete so ein begeistertes Ludwigsburger Publikum, das die Akteure im Gegenzug mit stehenden Ovationen bedachte. Ein würdiger Abschluss der 2019 Acoustica Tour.
Ich gebe zu, der Abend nahm einen musikalischen Verlauf, den ich nicht erwartet hatte. Aber darin liegt der Reiz in der Musik. Ist das Unerwartete so inspirierend und spannend, darf es auch etwas herausfordernd sein. Ist die elektronische Musik von Deine Lakaien für mich sehr eingängig, musste ich mich auf das Acoustic-Projekt einlassen. Und mein Horizont hat sich wieder mal erweitert. Danke Deine Lakaien, danke Sabine Lutzenberger.
So entließen mich Deine Lakaien in die kalte Ludwigsburger Nacht. Doch nicht ohne Botschaft. Für 2020 hat Alexander Veljanov bedeutungsschwanger Großes angekündigt. Seine Fans – und ich – dürfen gespannt sein. Vielleicht gibt es ja Live ein drittes Wiedersehen.
Danke liebe Freunde, das ihr mich wieder mal an die Hand genommen und aus meinem Hörzimmer ins wahre Leben entführt habt. 😉
Vielen Dank für die Fotos: A. Kull