Musik-Tipp: Outcome – ELISA

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Fragen für die Seele

ELISA | Outcome

(recordJet)

Nach gut zehn Jahren Norwegen, wo sie unter anderem mit Marianne Sveen von Katzenjammer spielte, packt die studierte Cellistin Elisa Herbig erneut ihre Koffer, um in ihrer Heimat ein weiteres Studium zu absolvieren: das zur Musiktherapeutin. Parallel gründet sie ihr erstes eigenes Musikprojekt, das Trio ELISA. Ob sich dieser Hintergrund im Debütalbum Outcome – denn „nordisch“ und „heilend“ sind zwei Begriffe, die angesichts dieser Klänge durchaus naheliegen – spiegelt? In jedem Falle webt die cellospielende Sängerin/Songwriterin, flankiert von Johannes Bartmes an diversen Tasten und Percussion sowie Jazzbassist Matthias TC Debus, ihre Aperçu-artigen Texte und Kompositionen hier um Cello und Stimme, die mal Artpop, mal Neoklassik, mal cinematische Klanglandschaft, vor allem aber immer sehr viel Soul im Sinne von Klängen von und für die Seele sind.

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Aber von vorn. Auf dem Opener „Wait“ schrubbt zunächst ein Cello seine Achtel, wozu es immer verurteilt ist, wenn ein Streichquartett Hardrock spielt – aber das hier ist weder Streichquartett noch Hardrock, denn mit Einsatz der Stimme zeigt sich, dass wir es mit Songs in ihrem ursprünglichsten Sinne zu tun haben, die sich zu einem Album zu reihen versprechen, wie Carole King es gelehrt und zur Perfektion gebracht hat, spröder zwar, aber unverkennbar eben: Songs. Das freut. Ohnehin: Was kann bei einer Platte, die mit dem Statement Wait! To wait for an answer! einsetzt, schon schiefgehen? Und während Herbig Fragen wie die nach Sinn und Unsinn des Wartens – Zahlt es sich aus? Ist es lediglich Bequemlichkeit? – ins Hörerhirn pflanzt, verwirrt die Struktur, denn der I won‘t, I won‘t, I won‘t, I won’t lose my patience-Refrain könnte sich ob seines rhythmisierten Tempos auf jeder modernen R&B-Produktion finden, wie man sie von Beyoncé & Co. kennt, nur eben mit einer völlig anderen Musik, deren Hand Claps aus einem tief im Nahöstlichen verwurzelten Flamenco stammen könnten, sekundiert von Wikingergaleeren-Gongschlägen und dem beiläufigen Pfeifen eines Fünfzigerjahreschlagers.

Die Pfeil-und-Bogen-Allegorie „Fly“ wartet mit Pizzicato über düsteren Drones und Atmo-Piano in Moll auf, bis wieder das Rhythmische übernimmt, das zum Charakteristikum der Platte zu werden gerät, wo sich sperrig Klapperndes mit einem treibendem Discobeat abwechselt, der einen catchy Refrain begleitet. „Borderline“ packt dann sofort, und zwar: zu. Da sind einerseits diese Tom-Waits-goes-Enya Momente, andererseits erinnert es kurz vor Minute zwei an Mgzavrebis „Tango“, sodass ich versucht bin, das Ganze als eine Art keltischen Soultango zu beschreiben. Now this is what I came here for!

Die „Rules“ könnten eine Hymne aller Erwartungen, Möglichkeiten, Träume sein, gewispert, denn die sind nicht in Granit gemeißelt; und auch „Storm“ wartet mit genügend Interpretationsspielraum auf, lässt es sich doch einerseits hören als Stimme eines Protagonisten, der sehr, sehr angepisst ist und eine gewisse Hab-ich’s-dir-doch-gleich-gesagt-Genugtuung nicht verhehlen kann. Andererseits aber eben auch als Gegenteil vom Blaming, indem es von einem bis ins Mark seines Selbstbewusstseins Erschütterten berichtet, der mit einem Mal sich selbst und damit alles um ihn herum in Frage stellen muss. Was auch immer der Song dem individuellen Hörer gibt – einen jeden beschenkt er ab Minute 2:05 mit einem wunderschönen Cellosolo, das ich versucht bin, „Kadenz“ zu nennen, die sich zum Abschiedswalzer entspinnt, ob nun vom geblamten Du oder vom bisherigen Ich.

„Step Back“ ist das einzige Stück des Albums, das auf Cello verzichtet. Stattdessen wartet es mit Electronica jener Art auf, die an After-Work-Klänge der Spätneunziger/Anfangsnuller-Jahre erinnern, wenn diese mal weniger wohlfühlig waren, sondern das Experiment wagten. Da gibt’s schon mal das eine oder andere Drum&Bass-entlehnte Geschnarre, über dem dieser so erdige und dabei gleichzeitig ätherische Gesang ertönt, irdisch und überirdisch zugleich, der die strukturelle Klarheit von nachgerade Bach’scher Provenienz noch einmal verstärkt, und doch so weit in den Wolken zu schweben scheint, dass man seiner nicht habhaft werden kann, spricht doch die Ich-Erzählerin nicht zu uns, sondern lediglich sich selbst Mut zu: Fürchte dich nicht. Vertraue in die Freundschaft, und alles wird gut.

Aber wie zuverlässig ist so eine Freundschaft schon, wo heutzutage accept und decline nur einen Klick voneinander entfernt sind? Dieser Frage widmet sich „Still Waters Run Deep“ mit enervierendem Xylophon- (oder Toy Piano? Drehleier?)-Grund, über dem ein ruhiger Celloton schwingt, der selbstbewusst ist und gleichzeitig weh. Und dann wieder dieser Gesang! Die Platte lebt ganz klar von der Doppelbegabung Herbigs; und es war dieses Stück, das es im Vorab-Trailer zu hören gab und das mich in das Album gezogen hat. Zu Recht! Wenn dann das repetitive Spielzeuginstrumentenelement vom Pizzicato des Cellos, das ein bisschen klingt wie eine Kalimba (Oder ist es später sogar eine? Hier wird mit so vielen Sounds gespielt und das derart unmerklich, dass alles zusammenfließt und verschmilzt und sich letztendlich ineinander auflöst!), übernommen wird, dem warme Rhodes ein watteweiches Bett bereiten, packt es einen völlig, im Magen, im Herzen, in und an der Seele.

„Helen“ erinnert einmal mehr an Tom Waits – ob als anfänglicher Funeral March, der seinen dunklen Thrill aus den vier langsam aufeinander folgenden, aufsteigenden Tönen des gebrochenen D-Moll-Akkords in weiter Lage zieht, oder aus dem sich darob entspinnenden Waltz. Spätestens mit seinem soghaften Genitivkopplungsrefrain Songs of the Birds of the Words of the Pictures hat das Stück die Hitlistenspitze der albuminternen Lieblingstitel erklommen. Ich muss mich ernsthaft beherrschen, die Platte noch durchzuhören und dieses Stück nicht jetzt schon auf Dauer-Repeat zu stellen. Dagegen ist das neckische „Kiss“, das aller Leichtigkeit zum Trotz in eher düstrer Tiger-Lillies-Manier vom wunderbaren Gefühl, verliebt zu sein, erzählt, beinahe emotionale Erlösung.

Die nicht lange währt, denn schon das nun folgende, plattentitelgebende „Outcome“ wartet wieder mit einem Cellosolo von solch atemberaubender Schönheit auf, wie man es allerhöchstens aus der klassischen Literatur kennt, bis der Modular Soul von Bartmes‘ elektronischem Orgelgewaber – Sie kennen sein gleichnamiges Album nicht? Sie sollten! – wieder behutsam die Klangdirektion vorgibt. Man setzt stark auf das Repetitive, auf das Rhythmische, das sich stetig, immer aber auf Basis einer unbestechlich barocken Präzision, wandelt – und natürlich auf Tiefenpsychologisches, das sich todesmutig den eigenen Ängsten angesichts veränderter Spielregeln stellt, was seelenbe- und -anrührend ist, Soulmusik eben.

Das bange „Close“ bringt Gewispertes über watteweichen Rhodesklängen, bevor da wieder diese Beyoncé’sche High-Speed-R&B-Melodie aufscheint, gesungen allerdings mit Operetten-entlehnter Artpop-Stimme (Was für eine Kombination!), die sich wiederum in Modularklänge eingebettet findet. All das steht inmitten von Überlegungen, dass man sich öffnen muss, um jemanden in sein Leben zu lassen, weil the shadow right behind you will never hold your hand und the picture in the mirror can’t respond your word, kurz: weil man allein nie zum tiefsten Kern der eigenen Persönlichkeit vorzudringen vermag. Dies ist nur im Spiegel eines Gegenübers, mehr noch: nicht irgendeines, sondern *des* Gegenübers möglich, und wenn man dieses Gegenüber einmal gefunden hat, sollte man es nie mehr loslassen, sondern sich glücklich, ja: auserwählt schätzen, ist den meisten Menschen die Begegnung mit ihrem wahren Gegenüber doch niemals vergönnt.

Was aber, so fragt das Lied, wenn man von jenem, den man so nah an sich herangelassen hat, letzten Endes doch nicht verstanden wird? Ist das dann überhaupt noch *der* jene, *der* eine? Das gilt vor allem dann, wenn man vom Gegenüber wie auf dem albumabschließenden „Challenge“ sagen kann, You are my greatest challenge, das mit seiner hochrepetitiven What you are to me-Bekräftigung noch lange im Kopf nachhallt und damit – nicht, ohne einen weiteren düstren, soghaften, ambient-alternativen Klangkosmos zu kreieren – den Bogenschluss zum „Wait“ des Anfangs nimmt, das nun eine ganz neue Bedeutung kriegt: nicht mehr das aus vergangener Verletzung sprechende I won’t wait anymore, sondern aus der geläuterten Perspektive desjenigen, dem das Warten in seiner nunmehr völligen Unnötigkeit bewusst wird, denn wenn man derart schicksalshaft miteinander verwoben ist, muss man nicht warten bzw. so tun, als täte man es nicht (mehr).

Aber auch dies ist nur eine von unzählig möglichen Interpretation, denn Herbig gibt auf Outcome keine Antworten – sie stellt Fragen. Und zwar die richtigen. So gesehen erzählt die Platte von Begegnungen und deren, je nach Umständen, Aufgelegtheit und Sternenkonstellation, offenem „Outcome“. Fragen, die den Hörer noch lange beschäftigen – auch mich. Vorher aber gehe ich „Helen“ auf Repeat hören.

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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