Musik-Tipp: SLOW DANCE – Tobias Hoffmann Trio

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Lullabies für Tagträumer

Tobias Hoffmann Trio | Slow Dance

(Klaeng Records)

Tobias Hoffmann, Komponist und Gitarrist, dessen knochentrockene und gleichzeitig im Echo sich sanft verlierende Vintagesounds mich – spielt er sie nun im Quartett mit den Expressway Sketches (aktuelles Album: Surfin’ the Day Lovin’ the Night, Klaeng 2019) oder beim Superseptett Shake Stew (auf den Tracks „So He Spoke“ und „Grilling Crickets in a Straw Hut, Pt. 1“ vom Album Gris Gris, Traumton 2019) – stets ein wenig an einen High Noon-Showdown in der Texanischen Wüste erinnern, dreht mit seinem Trio gern Bekanntes durch den Wolf.

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Ob auf 11 Famous Songs Tenderly Messed Up (2014) oder Ballads, Blues, & Britney (2017, beide Klaeng Records) – munter mäandert sich der Mitbegründer des Kölner Jazzkollektivs Klaeng und 2015er-ECHO-Preisträger, der manchmal auch zum Banjo greift, mit Frank Schönhofer am Bass und Etienne Nillesen an den Drums durch die möglichsten und unmöglichsten Repertoirekombinationen, die von George Gershwin, Burt Bacharach und Duke Ellington über Thelonius Monk, Charles Mingus und Miles Davis bis hin zu Lennon/McCartney, Bob Dylan und Jimi Hendrix reichen und bei Chris Isaak, Rio Reiser und Britney Spears noch lange nicht enden.

Auch das dritte Trioalbum – eine klassische Acht-Stück-Platte, die bis auf eine Ausnahme völlig ohne Overdubs auskommt und die, wie schon ihre beiden Vorgänger, zunächst wieder einmal mit einem retroseligen Cover verzückt, für das allein die Investition ins Vinyl lohnt – schöpft aus der vollen Bandbreite der Popularmusik aus dem zwanzigsten Jahrhundert, wobei es neben einer unleugbaren Vorliebe für den (Classic & Psychedelic) Rock der Blumenkinder und ihrer Vorgänger immer auch mindestens einen Fuß tief im (Mississippi Delta-)Blues steckt.

Slow Dance eröffnet mit „The Loco-Motion“, das Carol King ursprünglich 1962 für ihre damalige Babysitterin Little Eva geschrieben hatte, die das Stück zum Welthit machte. Spätergeborene erinnern sich vielleicht noch, wie eine gewisse, damals lediglich als Jungserienstar populäre Miss Minogue dem Song in den späten Achtzigern im so typischen wie schrecklichen Stock-Aitken-Waterman-Sound zu neuem Ruhm verhalf. Bei Hoffmann und seinen Mitstreitern macht der Song dem Plattentitel alle Ehre, haben sie die Uptempo-Nummer doch in einen so liebenswerten wie schmeichelnden Stehblues verwandelt. Dieser Platte, weiß man jetzt schon, gebührt ein Ehrenplatz in der Sammlung! Weiter geht’s mit „Chitlins Con Carne“, einem 1963er-Jazz-Blues-Instrumental aus den Saiten von Gitarrist Kenny Burrell, das hier zum schwerschleppenden Inbegriff bekifft-wabernden Stoner-Rocks und damit sogar noch ansprechender als der Opener gerät.

Der nahtlose Übergang ins Traditional „Baby Please Don’t Go“, das von Delta Blues-Musiker Big Joe Williams 1935 populär gemacht wurde, zeugt von der Affinität, ja: Verwurzelung der Platte in den Tiefen des Blues. Das Stück selbst hat exzessives Covering erfahren – ob in der Blues-Szene wie durch Lightnin‘ Hopkins oder darüber hinaus, etwa 1964 durch Van Morrison, 1972 durch Gary Glitter oder 1975 durch AC/DC. Das verwundert nicht, hat es doch einfach alles, was dem schrammeligen Stromgitarrenspieler mit Hang zum Twang Spaß macht, angefangen bei seinem dauerrepetitiven Worksong-Groove, über dem es sich nach Herzenslust improvisieren lässt. Das Tobias Hoffmann Trio erweist dieser Geschichte mit einen dezent dreckigen Sound, der sowohl aus den Grammophonen der Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts als auch aus den Poren heutiger Elektronik strömen könnte, Reverenz. Nachgerade clean kommt im Gegensatz dazu Neil Youngs „Harvest Moon“ daher, dessen schönstes Cover immer noch von Cassandra Wilson (aus New Moon Daughter, Blue Note 1995) stammt. Bei Hoffmann wandelt sich der Young’sche, an den Trab von Pferden erinnernde Midtempo-Groove zum smoothen, superverlangsamten Achtminuten-Schieber, der jede Menge Zeit für allerlei Spiel, vor allem aber für gründliches Nachhören und -wirken von Raum bietet – und damit einen würdigen Abschluss von Plattenseite eins.

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Foto: Jonas Löllmann

Wer sich jetzt aus der mittlerweile waagerechten Hörposition, in die er während der letzten Songs unwillkürlich gerutscht ist, aufraffen kann, um die Platte umzudrehen, wird vom 1971er-Doors-Superklassiker „Riders On The Storm“ begrüßt, dessen charakteristisch-treibender Basslauf hier nahezu unkenntlich verfremdet klingt, was – neben diversen Schauereffekten – dem ganzen Stück eine so nervöse wie surreale Atmosphäre verleiht, in die Hoffmanns wohldosierte, mit Bedacht gesetzte Töne nach Art eines Nachtmahr-Widergängers von Jim Morrison hineingrätschen. Auch „Politician“, 1962 bei Cream ein elektrifizierter, für heutige Begriffe jedoch durchaus gemütlicher Bluesrock, ist in der Highspeed-Version des Trios nicht gerade zum Traumtanzen angetan – zum Pogen eventuell schon. Ach ja: Mordsspaß macht sie in jedem Falle!

Die Langsamtänzer werden mit Springsteens „The River“ (1980) wieder eingefangen, das hier nicht nur slow, sondern auch derart zärtlich und nicht zuletzt sexy daherkommt, dass es das Springsteen’sche Œuvre selbst all jenen, die mit ihm aus guten Gründen (zu straight, zu wenig sinnlich, oder, wie die Zeit so treffend formulierte: „Bruce Springsteen kann doch nur lieben, wer sozialpolitisch naiv und musikalisch geschmacklos ist“) fremdeln, näherbringen könnte. Der ausufernde Achteinhalbminüter macht nach Manier eines Wiegenlieds für Tagträumer all das Boss-Gehabe Springsteens vergessen und bietet den Auftakt für einen waschechten Slow Dance, darf doch der langsame Dreiertakt – hier in Form von Smokey Robinsons „You Really Got A Hold On Me“, das viele durch die Interpretation der Jackson Five kennen dürften – bei keiner einschlägigen Veranstaltung fehlen, derweil er hier die Platte dank seiner Supersoftness an die mit ihrem Cover korrespondierende Grenze zur Ironie treibt, bis man verwundert, gänzlich ironiefrei und seltsam beglückt feststellen muss, dass statt High Noon die klanggewordene Mitternacht Einzug gehalten hat ins Hoffmann’sche Sounduniversum, das zumindest ich in Zukunft anders hören werde als bisher.

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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