Musik-Tipp: Golden Days – Tokunbo

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Vertrau.

Tokunbo | Golden Days

(inakustik)

Die Stimme kennt man. Jeder, der die Endneunziger-/Anfangsnullerjahre nicht im Ecstasy-Delirium verbracht hat und statt auf Technowochenenden, auf denen jedes Zeitgefühl verloren ging, auf After-Work-Parties abhing, weil er am nächsten Morgen wieder fit zu sein und seine Miete zu bezahlen hatte, erinnert sich an die Akustiksouler Tok Tok Tok, die im ganzen Chillout-, Lounge- und Ambientgewaber wohltuend ehrlich, bodenständig und greifbar aus den Boxen kamen – und das nicht zuletzt aufgrund der erdigen Stimme Tokunbo Akinros.

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Die veröffentlicht mit Golden Days ihr mittlerweile drittes Album als Solokünstlerin. Nach Queendom Come (2014) und The Swan (2018) hat die deutsch-nigerianische Singer/Songwriterin jetzt mit inakustik das passende Label zum Sound gefunden, dreht sich bei den Hochschwarzwäldern, die unter selbem Namen auch Manufaktur-Kabel und -Lautsprecher vertreiben, doch alles um den feinen audiophilen Klang – und guten Geschmack, wie ein (Back-)Katalog, der sich von Chet Baker über Rahsaan Patterson zu Esperanza Spalding spannt, beweist.

Gleich der Auftakt „Golden Days“ erinnert mit seinem warmen, americana’esken Flair – und vor allem seinen zwar wehmütigen, aber doch mit dem Ist-Zustand zufriedenen Reminiszenzen, wo denn die goldenen Tage seien und der gleich darauf folgenden, selbstgegebenen Antwort, sie wären ja vielleicht gerade jetzt hier – an das Gefühl des Angekommenseins bei Jeanette Hubert. Jetzt schon ist klar, dass dieser Platte ein unbeugsamer Wille zum Licht am Ende des Tunnels, mehr noch: ein absolutes Einverstandensein damit, wie die Dinge waren, denn schließlich haben genau diese dazu geführt, dass die Dinge sind, wie sie jetzt sind, nämlich: gut, innewohnt. Und das macht sie – sowohl die Platte an sich als auch Tokunbos unaufgeregte Stimme – zum perfekten Begleiter des zwischen Wunsch und Wirklichkeit hin- und hergerissenen Mittvierzigers, die ihn an die Hand nimmt und sagt, hör auf zu zweifeln. Vertrau.

Auch, wenn sich das folgende „Home Again“ ein bisschen mehr Richtung Up-tempo vorwagt, bleiben Tokunbo und Band dem warmen Klangspektrum handgemachter Americana-Sounds treu, womit sie in diesem Falle an Sheryl Crows Tuesday Night Music Club erinnern, darüber hinaus aber noch einen Pattex-Refrain kreieren, den man so schnell nicht wieder los wird! „Forgive“ wiederum ist dank seiner Rhythmusgitarre zu einem Blues geraten, der auch die Fink’schen Biscuits für Breakfast besingen könnte, derweil es hier recht eigentlich um emotionale Abhängigkeiten – oder zumindest: tiefere Verstrickungen – geht, die mit Zeilen wie everytime you call my name/it makes me feel at home again das Thema des vorherigen Stücks aufnehmen, während sie allmählich zur Indiepop-Hymne erblühen.

Mit „Near & Far“ ist sie dann da, die superzarte Ballade, die im eigentlichen Sinne keine ist, sondern eher eines dieser Stücke, die, ob man nun will oder nicht, ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Und wer auch könnte dieser Lass mich bitte, bitte dein xy sein-Bitte schon widerstehen? Ob midnight muse, ocean blue, secret dream oder yin? You’re welcome! „Hey, Island“ erinnert an eine Ansage an den Ex-Typen, entpuppt sich aber als Dancefloor-Burner, den man mit Akustikgitarre erst einmal hinkriegen muss, während „Curtains“ wieder so ein Jeanette-Hubert-Erinnerungsstück ist, wo erstmals Tokunbos Stimme ganz klar im Vordergrund steht, tief und schmeichelnd und eindringlich und streichelnd, wenn sie davon erzählt, wie sie bald safe again sein wird. Hach! Der, den das nicht rührt, ist ein emotionaler Eisklotz.

Leichter kommt „See You Fly“ angaloppiert, und zwar im wörtlichen Sinne, wartet das Stück doch mit einem Prärie-Groove auf, der sich zum – mit einem Schuss Streichern übergossen – Indiepopshake auswächst, derweil „On The Fence“ an Michael Jacksons „Human Nature“ erinnert, und das war immerhin so zärtlichsexycool, dass sogar Miles Davis es gecovert hat! Es ist das rhythmisch bislang akzentuierteste Stück des Albums, irgendwo zwischen britischem Alternative Soul und einem Mikro-Hauch HipHop. I like! Und natürlich geht es, wie von dieser Platte nicht mehr anders zu erwarten, auch hier um die ganz großen, ganz tiefen, eben die existenziellen Themen, in diesem Falle, dass lebensverändernde Wandlung immer noch und jederzeit und immerfort möglich ist.

Jeder Genrebeschreibung entzieht sich „Ray“, das über einem irisierend nervösen Banjoteppich durch seinen maultrommelartigen Sound ein bisschen technoid klingt. Vielleicht lässt es sich mit Bluesgrass-Techno umschreiben, aber hören Sie selbst! „House of Cards“ dann ist das Stück, mit dem ich persönlich so gar nicht warm werde, mutet es mit seinem Barpiano und der süßlichen Melodie fast schon musicalartig an, wie frisch vom Hitfabriksfließband, wo die Musik am Reißbrett entworfen wird, passgenau auf den kleinsten gemeinsamen ästhetischen Nenner des Publikums abgestimmt. Und dann der klebrige Streicherzuckerguss! Carole King goes Easy Listening. Nee, wirklich nicht.

Das ist aber auch der einzige Ausreißer – und ich bin mir sicher, auch er wird sein Publikum finden, jammern wir hier doch auf handwerklich perfektem und auch sonst recht hohem Niveau! –, denn auf dem Closer „Miles Away“ erinnert Tokunbos Stimme an Astrid North zu Cultured Pearls-Zeiten, während sie das Album, sowohl musikalisch als auch von der Botschaft her mit einem optimistischen Ausklang beendet: We are the ones to decide on our fate – und damit jeglicher Art von schlaffer Schicksalsergebenheit den Kampf ansagt.

Golden Days ist im Grunde eine – im persönlichen, nicht politischen Sinne, und die Diskussion, ob nicht alles Persönliche per se politisch ist, gehört gerade nicht hierher – Selbstermächtigungsplatte, die einen sanften, aber nötigen Tritt in den Allerwertesten gibt, sich aufzuraffen und das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, vor allem aber Geborgenheit ausstrahlt, Zuversicht und Vertrauen. In sich selbst. Sie ist eine Ermutigung, den eigenen Weg zu gehen. Und wann braucht man die schon dringender als in Zeiten wie diesen?

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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