Zu Besuch bei … dem Deutschen Jazzpreis und der jazzahead! 2023 in Bremen – Prognose: Vorsichtig optimistisch

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Zu Besuch bei … dem Deutschen Jazzpreis und der jazzahead! 2023 in Bremen

Prognose: Vorsichtig optimistisch

„Vorsichtig optimistisch“ heißt es im Arztbrief, wenn das Untersuchungsergebnis Anlass zu – wenngleich verhaltener – Hoffnung gibt, obwohl die Eingangsdiagnose anderes erwarten ließ. Im Grunde gilt dasselbe für den (postpandemischen) Jazz, dessen Zustand sich zuverlässig auf der jährlichen jazzahead! in Bremen, der international größten Fachmesse mit angeschlossenem Showcase-Festival, diagnostizieren lässt.

Der Vergleich mit dem Arztbrief kommt nicht von ungefähr, ist es doch nun schon einige Wochen her, dass ich für Sie die jazzahead! besucht habe – ein Fahrradunfall hielt mich von der zeitnahen Berichterstattung ab. Die Eindrücke, Prognosen und vor allem Musikempfehlungen sind indessen so frisch, als wäre ich erst gestern dagewesen: Nach der Geistermesse vor zwei Jahren, als ich mir die eindrucksvolle, ursprünglich für bis zu 14.000 Menschen ausgelegte Halle der ÖVB-Arena mit lediglich zwei weiteren Journalisten, zwei Menschen von der Messe, drei Kameraleuten, einem Licht- und einem Tontechniker plus den jeweiligen Musiker:innen auf der Bühne teilte, sowie dem letztjährigen, aufgrund von Post-Corona-Planungsunsicherheiten eher mäßig bespielten Tradefair lässt sich 2023 festhalten: Es gibt wieder mehr von allem. Mehr Menschen, mehr Musik und auch mehr Mut, die Dinge (und nicht zuletzt auch die Münzen, die baren) wieder in die Hand zu nehmen und in den Jazz zu investieren.

Jazzahead 2023 Atmo

Etwa in den zum dritten Mal (und zum zweiten Mal in Folge in Zusammenarbeit mit der jazzahead!) verliehenen Deutschen Jazzpreis, der dieses Jahr parallel zum ersten Messeabend im Bremer Metropoltheater über die Bühne gebracht wurde. Allein die logistische Großleistung, etwa 300 Nominierte, Jury- und Beiratsmitglieder und deren Anhang anreisen zu lassen und unterzubringen, verdient Respekt – ganz zu schweigen von der Gesamtsumme in Höhe von 472.000 Euro, welche dieses Jahr an die Nominierten und Preisträger:innen ausgeschüttet wurde, wobei sich der/die Gewinner:in jeder der insgesamt 31 Kategorien über ein Preisgeld von jeweils 10.000 Euro freuen konnte.

Gemessen daran, dass die Hälfte der durchschnittlichen Jazzmusiker:innen der Jazzstudie von 2016 zufolge über ein absolutes Gesamtjahres(!)einkommen von weniger als 12.500 Euro verfügen, ist dies eine stolze Summe – lockergemacht von der durch Kulturstaatsministerin Claudia Roth personifizierten Bundesregierung für Kultur und Medien und der anwesenden Bremer Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt, die trotz weiterhin angespannter Haushaltslage der Hansestadt die Verleihung mit zusätzlichen finanziellen Mitteln unterstützte, weil sie überzeugt ist: „Bremen kann mehr Glamour vertragen.“ Und für diesen Zweck hat sie sich den Jazz auserkoren.

Der ist von nahem jedoch nicht ganz so schillernd wie so manch einer denken könnte. Die von Sänger Max Mutzke und Hadnet Tesfai moderierte Show war, sitzt man erst einmal im Publikum, weitaus unglamouröser, als man es aus dem Fernsehen kennt, wo zumeist nur die aufregend zusammengeschnittenen Highlights gezeigt werden. Da man diesbezüglich von den Vorjahren gelernt hatte und keine unnötigen Längen entstehen lassen wollte – denn schließlich wurde das Ganze ja live gestreamt – kam nun aufgrund der Unmenge der zu vergebenen Preise nicht gerade selten so etwas wie Fließbandatmosphäre auf. Nominiert ist dieser, gewonnen hat jener, bitte schnell den Preis abholen, verbeugen, und weiter. Die wenigsten Preisträger:innen durften etwas sagen, was für die Länge der Show ein Segen, für das Ambiente jedoch ein absoluter Stimmungskiller war. Auch wurden nur wenige Preisträger:innen mittels Laudatio gewürdigt, wofür das vorangehend Gesagte gilt: Für den zeitlichen Ablauf top, für die Stimmung flop.

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Deutscher Jazzpreis 2023: Gleich geht’s los! (Foto: V. Szirmai)

Umso schöner für mich persönlich, die ich nicht nur in Fach- und Hauptjury des Preises mitgearbeitet, sondern auch zwei der spärlichen Laudatios geschrieben habe: Das Gefühl, wenn „Ms Tagesschau“ Claudia Urbschat-Mingues sowie Jamie-Fox-Synchronstimme Charles Rettinghaus deine Texte sprechen. Nicht weniger schön: Die musikalischen Interventionen, die unter anderem von den beiden Nominees Nick Dunston am Bass und Vokalkünstlerin Cansu Tanrıkulu kamen, die beide noch vom be kind-Festival – das übrigens, das steht jetzt endlich fest, auch dieses Jahr wieder stattfinden wird, wenn auch nur für zwei anstatt für vier Tage – in ausgezeichneter Erinnerung sind. Die intimere Location mag für ihre Art der Musik zwar passender sein als die große Musicalbühne, dennoch weiß ich es zu schätzen, auch Improvisiertem, gar Sperrigem solch namhaftes Forum zu bieten! Emotionales Highlight war aber sicherlich die bewegende Rede von Pianist Joachim Kühn, dem gemeinsam mit seinem im August 2022 verstorbenen Bruder, dem Klarinettisten Rolf Kühn, der Preis für sein Lebenswerk zugedacht worden ist. Hier wurde alles richtig gemacht und dem Redezeit eingeräumt, der sie verdient hatte.

Halten wir fest: Der Deutsche Jazzpreis ist ein noch junges, lernendes System. Klar, dass es hier im Nachhinein viel – mal mehr, mal weniger berechtigte – Manöverkritik gegeben hat, wobei die für so manchen als unverhältnismäßig erlebte Betonung von Diversität im Mittelpunkt stand, die in keinerlei Verhältnis zur tatsächlichen Zusammensetzung der Szene zu stehen schien, sodass sich leicht der Eindruck aufdrängen konnte, dass vornehmlich politische anstatt ästhetischer Entscheidungen getroffen wurden, was der ausgesprochen heterogenen Zusammensetzung der Jury angekreidet wurde. Ob man diese Ansicht nun teilt oder nicht, es lässt sich nicht abstreiten, dass die (Über-)Betonung der szeneinternen Diversität für eine längst überfällige Sichtbarmachung dieser gesorgt hat. Mit einem Mal war sie in aller Munde, und die Menschen haben, ob so oder so, darüber geredet. Wohlmeinend könnte man also formulieren: Der Deutsche Jazzpreis 2023 hat uns in dieser Hinsicht sprach- und diskursfähig gemacht, etwas, wovon sein zu Recht in der Versenkung weißer alter Männer verschwundene Vorgänger, der Echo Jazz (nicht zu verwechseln mit dem von Universal Music herausgegebenen Magazin Jazz Echo!), nur träumen konnte.

Jazzahead 2023

Wo Jazz ist, sind auch Häppchen

Auch die jazzahead! selbst hat sich einer inhaltlichen Öffnung unterzogen, welche die „neuesten stilistischen Horizonterweiterungen des Jazz“ abbilden sollten, wie der langjährige künstlerische Messeleiter Uli Beckerhoff, der letztmalig in dieser Funktion dabei war, nicht müde wurde zu betonen. Hierzu gleich mehr, doch zunächst wollen wir uns noch kurz dem Rahmenprogramm des Jazzpreises widmen, wo vor allem Buffets, Bars und Bekanntschaften für die bis dahin vermisste Feierlaune sorgten, die in dieser Kombination derart anregend waren, dass die Autorin und der Fotograf dieses Berichts, nachdem sie kurz vor Mitternacht schnell zum Schlachthof ge-taxi-t sind, um den Schweizer Hardjazz-Act Sc’ööf zu hören bzw. zu sehen, flugs wieder ins Metropol zurückkehrten, wo es sich bei nach einem üppigen Büffet als Mitternachtssnack gereichter veganer Bratwurst, ausgefallenen Gin-Cocktail-Kreationen und Pfälzer Traditionswein in Neuauflage vortrefflich parlieren (und natürlich auch lästern) ließ. Es sind ja vor allem die Pausen, die auf der Messe Leib und Seele zusammenhalten, und genauso verhielt es sich auch beim Preis: Für das leibliche Wohl sorgten die Veranstalter bestmöglichst, meinten es mit den Getränken vielleicht sogar ein winziges bisschen zu gut, während alte Bekannte und neue Freunde die Seele schnurren ließen.

Jazzahead 2023 Wilde Eidgenossen: Sc'ööf

Wilde Eidgenossen: Sc’ööf

Schon nach dieser ersten Nacht lässt sich – nicht immer ohne eine kleine Portion Irritation – festhalten, dass dieses Jahr alles anders ist auf der jazzahead!, die wie bereits erwähnt zum letzten Mal unter der künstlerischen Leitung von Uli Beckerhoff und Messegründer Peter Schulze stattfindet, um danach auf den Hamburger Journalisten Götz Bühler als Artistic Advisor überzugehen: Statt der liebgewonnenen, weil gewohnten Abfolge Partnerlandempfang & -konzerte (benannt als lange Nacht des jeweiligen Partnerlandes, also etwa „Canadian Night“ oder „Swiss Night“) am Donnerstag, European Jazz Meeting und Galakonzert am Freitag, German Jazz Expo, Overseas Night und Clubnight am Samstag sowie Ausstellerfrühstück und Verkündung des kommenden Partnerlandes am Sonntag heißt es diesmal: Jazzpreis und Partnerlandkonzerte am Donnerstag, wobei ja Deutschland das Partnerland war und die „German Night“ nahtlos in die German Jazz Expo übergegangen wäre, würde man nicht auf die althergebrachte Benennung verzichten und stattdessen schlicht von Day Showcases und Night Showcases sprechen, wo sich deutsche, europäische und internationale Acts die Klinke in die Hand geben. Um die Verwirrung komplett zu machen (und vermutlich auch, um das „German Jazz Expo“-Banner im Bühnenhintergrund zu recyclen, denn konsequenterweise hätte man ja von German Showcases sprechen müssen), findet aber, wer will, das Ganze im unverzichtbaren Begleitbooklet auch noch einmal sortiert in European Showcases, German Jazz Expo und Overseas Showcases. Ob alte, neue oder irgendwie gemischte Bezeichnungen: In jedem Falle ist die zeitliche Clusterung nach geografischer Herkunft aufgehoben und die Acts spielen unabhängig von ihrer Herkunft nach-, vor- und miteinander, was im Grunde auch viel besser zum heutigen Jazz passt, wo es immer weniger um nationale Beschränkungen geht.

Wie dem auch sei: Wir verpassen am Donnerstag aufgrund unserer Jazzpreis-Verpflichtungen mit dem Andromeda Mega Orchestra den ersten Showcase-Act – sowie ganze zehn weitere, da es uns erst gelingt, uns zur Abschluss-Show des ersten Tages, die von den Schweizer Punkmetalljazzrockern Sc’ööf gestemmt wird, vom Metropol Theater loszueisen. Das soll uns Freitag nicht noch einmal passieren! Hier sitzen wir nach dem obligatorischen Meet & Greet pünktlich um halb vier wieder im Schlachthof, um LIUN & The Science Fiction Orchestra zuzuhören, die eine unfassbare Entwicklung durchgemacht haben: Nicht nur die Klangflächenschichterei von Mastermind Wanja Slavin und die Bläserfront, in der unter anderem Heidi Bayer, die für ihren musikalischen Humor in der Kategorie „Komposition des Jahres“ frischgebackene Jazzpreisträgerin, die Trompete rührt, sondern vor allem auch die eindringlich-elektrisierende Altstimme von Frontfrau Lucia Cadotsch, die hier um so vieles präsenter ist als auf den alten LIUN-Aufnahmen und eher an ihr Trio Speak Low erinnert, machen diese halbe Stunde zu einem echten Erlebnis!

Jazzahead 2023 LIUN & The Science Fiction Orchestra

LIUN & The Science Fiction Orchestra

An ein Nachhallenlassen indessen ist nicht zu denken, denn gleich geht es weiter in die benachbarten Messehallen, wo das für den Jazzpreis in der Kategorie „Debut Album of the Year“ nominierte Quartett Mother zeigt, wie es klingt, wenn sich griechische Folklore und Jazz ein Stelldichein geben. Hypnotisch nämlich. Dichte Strukturen funkeln da über einer dezenten Polyrhythmik, driften mal in mediterrane Skalen ab, um sich gleich darauf wieder westlicher Tonsprache zu befleißigen … Im Grunde wie ein gutes Essen, dessen einzelne Einflüsse nur noch schwerlich aufzudröseln sind, derweil es ein schmackhaftes Ganzes abgibt.

Jazzahead 2023 Athina Kontou & Mother

Athina Kontou & Mother

Die Night-Showcases fallen heute der anstehenden Clubnacht zum Opfer, im Rahmen derer wir uns für die Fahrt in die mit viel Herzblut vom zeitkultur e.V. betriebene Villa Sponte entschlossen haben, um die französischen Explosiv-Jazzer OZMA zu hören. Auch, wenn wir dafür auf Clubnacht-Acts wie LBT in der Kellerei Bremer Ratskeller, Lambert im KITO, Leona Berlin im Theater Bremen Club und auch Gina Schwarz in Messehalle 7.2, die ich wirklich gern noch gesehen hätte, verzichten mussten – der Showcase der Pariser Band um Schlagzeuger Stephane Scharlé war es wert. Nicht zuletzt aufgrund eines überirdischen Teis Semey an der Gitarre und einer phantastischen Nabou Claerhout an der Posaune, die die ohnehin lungenmächtige, von Julien Soro an Saxophonen und Guillaume Nuss an der Posaune gebildete, OZMA-eigene Bläserfront aufs Vortrefflichste ergänzte.

Jazzahead 2023 OZMA, Teis Semey

Teis Semey

Jazzahead 2023 OZMA, Nabou Claerhout

Nabou Claerhout

Mal wieder ist es spät geworden in Bremen. Wie gut, dass das Get-Together für die Beteiligten am Deutschen Jazzpreis, zu dem auch Claudia Roth erwartet wird, am Samstag erst am frühen Nachmittag auf dem Programm steht! Die kommt, plaudert so gelöst wie kenntnisreich über Jazz und lässt sich frohgemut mit jedem, der will, fotografieren, egal, ob für offizielle Preisträgerportraits oder fürs schnelle Selfie. Eher unfroh stimmt dagegen der per Präsentation in der Business Lounge vorgenommene Rückblick auf den Jazz im letzten Jahr, dem die neue Jazzstudie 2022 unter dem Titel „Alarmierende Befunde“ dringenden Handlungsbedarf attestiert. Eingedenk des erschreckend niedrigen Einkommens der Jazzer:innen, das die erste Jazzstudie offenlegte, muss konstatiert werden: Viel hat sich in diesem Bereich nicht getan, denn immer noch verfügen hauptberufliche Jazzmusiker:innen mit etwa 21.000 Euro Bruttojahresverdienst über weniger als 60 Prozent des bundesdeutschen Durchschnittseinkommens. Zwei Drittel verdienen weniger als der Durchschnitt, und ein Drittel muss gar von einem Jahreseinkommen von weniger als 10.000 Euro leben. Natürlich resultiert diese katastrophale Einkommenssituation in einer völlig unzureichenden Absicherung für Krisen, von der fürs Alter ganz zu schweigen. Eine Verbesserung zur Jazzstudie von 2016, die ermittelte, dass mehr als 50 Prozent der Jazzmusiker:innen in Deutschland kein existenzsicherndes Einkommen erreichen, ist da nur mit der Lupe zu sehen. Nachdenklich ziehen wir weiter.

Jazzahead 2023 Jazztaxi

Auch die Déesse macht Kilometer (Foto: V. Szirmai)

Vielleicht liest es sich für Sie nicht so, aber man macht auf der Messe Kilometer – allein der Parkplatz vor den Hallen ist geschätzte 1.000 Meter lang und benötigt gute zehn Minuten zur Querung. Manche, so gestehen sie im Gespräch, fahren tatsächlich mit ihren Autos vom einen zum anderen Parkplatzende. Ich kann es verstehen. Wir tun’s nicht – und mittlerweile merkt man’s. Trotzdem schön, dass der Mann unerwarteterweise einen Kameramannjob für einen Live-Videodreh angeboten bekommt, so kann ich mich zusätzlich zur willkommenen Abwechslung zuschauend in die weichen Polster der Hotelsuite, die als Schauplatz herhalten muss, lehnen. Spontane Jobs wie der hier? Auch das ist jazzahead!.

Und dann rennen wir auch schon wieder, denn der Showcase vom Olga Reznichenko Trio steht an. Dessen auf Traumton Records erschienenes Album Somnambule ist mir aus meiner Juryarbeit noch gut im Gedächtnis: Was für eine verzauberte, mesmerisierende Musik! Leider ist davon auf dem Showcase nichts mehr zu spüren. Der geht im Grunde immer nur: vorwärts, und zwar in einem gefühlt konstanten Tempo. Kein Raum für Entwicklungen, kein Platz zum Nachspüren. Ich bin enttäuscht, aber auch das gehört zur jazzahead! dazu. Phantastische Konzerte wechseln sich ab mit enttäuschten Erwartungen, denn schließlich ist auch der Jazz kein Streichelzoo, sondern wie das Leben selbst: Stimmungs- und tagesformabhängig.

Jazzahead 2023 Olga Reznichenko Trio

Olga Reznichenko

Eine Messe, auf der ich gefühlt ständig unter Zeitdruck stand und die meiste Zeit damit verbracht habe, von A nach B zu rennen, geht zu Ende. Die jazzahead! selbst spricht von einem vollen Erfolg. So wurden während der 17. Messeausgabe insgesamt rund 2.800 Fachteilnehmer:innen registriert, zudem 1.366 Haupt- und Mitausstellende. Insgesamt waren diesmal 51 Nationen auf 5.000 Quadratmetern am Start. Am Festivalprogramm mit 36 Showcases und der 30 Locations bespielenden Clubnight waren 428 Musiker:innen beteiligt, wobei allein die letztgenannte Nacht insgesamt etwa 5.500 Besucher:innen zu verzeichnen hatte.

Anlass zu vorsichtigem Optimismus geben nicht nur die wieder steigenden Zahlen, sondern auch die Beobachtung, dass der langherbeigeredete Generationenwechsel nun tatsächlich vollzogen wird. Nicht nur auf Seiten der Fachleute, wo langjährige Leitungsfunktionen abgegeben, Labels ver- und gekauft, ausgediente Partnerschaften beendet und neue initiiert werden, sondern auch auf Seiten der Fachbesucher:innen. So befand auch jazzahead!-Projektleiterin Sybille Kornitschky für auffällig, dass zahlreiche junge Menschen teilgenommen hätten – viele von ihnen zum ersten Mal überhaupt. Dass sich dies (noch) nicht in verbesserten Arbeits- und Lebensbedingungen der Künstler:innen widerspiegelt, bleibt die bittere Pille, die der Jazz aktuell zu schlucken hat.

Jazzahead 2023 Atmo

Immer ein Exportschlager: Nordic Jazz

Treu bleibt man indessen einer langgehegten Tradition: Der offiziellen Verkündung des nächstjährigen Partnerlandes am Sonntag zum Messeschluss, das viele der schon im Zug Sitzenden als Breaking News auf ihre Mobiltelefone geschickt bekommen. Kommendes Jahr werden die Niederlande Partnerland der Jazz-Messe sein. Die feierliche Übergabe des Staffelstabs, während der Kulturstaatsministerin Claudia Roth der niederländischen Botschafterin für internationale kulturelle Zusammenarbeit im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Dewi van de Weerd symbolisch einen Seesack überreichte, fand bereits am Samstagabend im Schlachthof statt.

Jazzahead 2023 Atmo

Es ist vollbracht. Bis nächstes Jahr!

Nach drei prallen Tagen (sowie einem touristischen Sonntag, an dem man in Bremens Touri-Hotspots immer noch den/die eine/n oder andere/n Jazz-Musiker:in trifft) spüre ich am ganzen Leibe: Das war schon sehr viel Gelaufe. Sehr viele Menschen. Und sehr wenig Schlaf. Aber eben auch: Sehr viel, darunter auch sehr schöne, Musik.

Save the date: Die nächste jazzahead! findet vom 11. bis zum 14. April 2024 statt.

Fotos: David J. Hotz, wenn nicht anders gekennzeichnet

About Author

Victoriah Szirmai hört Musik und schreibt darüber. Sie studierte Musikwissenschaften mit Schwerpunkt Musiksoziologie und Rock/Pop/Jazz-Forschung sowie Philosophie und Hungarologie an der Humboldt Universität zu Berlin; außerdem Fachjournalismus mit Schwerpunkt Musikjournalismus am Deutschen Journalistenkolleg. Hier gewann sie mit ihrem Essay-Manifest „Zeit zum Hören – Plädoyer für einen langsamen Musikjournalismus" den ersten Preis des Schreibewettbewerbs „Journalistische Trendthemen". Szirmai schrieb sieben Jahre lang für das HiFi-Online-Magazin fairaudio, außerdem für die Jazzzeitschrift Jazz thing und das (ehemalige) Berliner Stadtmagazin zitty. Aktuell arbeitet sie für den Berliner tip und für Jazzthetik, das Magazin für Jazz und Anderes, wo in ihrer mit der Nachtseite der Musik flirtenden Kolumne „Szirmais Fermaten" ganz viel Anderes und vor allem Leonardcoheneskes stattfindet. Ein weiterer Interessenschwerpunkt ist ästhetische Objektivität.

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