Am den ersten beiden Tagen der Messe hatten Bernd und ich ein besonderes Vergnügen: Zum Einen wohnten wir am Eröffnungstag der HighEnd der Pressekonferenz bei, zu der die Highend Society geladen hatte. Stefan Dreischärf präsentierte die harten Fakten: 551 Aussteller aus 42 Ländern, 21.180 Besucher insgesamt, 8.208 Fachbesucher aus 72 Ländern. Alle Zahlen mit steigender Tendenz gemessen am letzten Jahr. Ein gutes Zeichen für die Branche. Hohe Zufriedenheit bei allen Teilnehmern. Highlight: In der Pressekonferenz gab sich auch der musikalische Botschafter der Veranstaltung die Ehre – der britische Musiker und Produzent Steven Wilson.
Zum Anderen nahmen wir an Tag zwei an der Videokonferenz mit Jennifer Warnes teil, die live aus Californien in der Leitung war. Roscoe Beck, der langjährige Wegbegleiter, Bassist und Produzent, wurde aus Texas zugeschaltet.
Steven Wilson sollte eigentlich planmäßig am Vorabend in aller Ruhe aus Großbritannien einfliegen, doch leider fiel sein Flug aus – was für operative Hektik im Planungsteam um Stefan Dreischärf sorgte. Dank organisatorischem Geschick und beherzter Umbuchung des Flugs konnte Steven Wilson dann doch pünktlich am Donnerstag, den 09. Mai dabei sein – allerdings zum Preis einer kurzen Nacht. Dafür wirkte er recht frisch und gut aufgelegt. Und eins musste man neidlos anerkennen: Das Geburtsjahr (1967) hätte ich bei der lockeren Erscheinung gut ein Jahrzehnt später gewähnt. Eine klasse Ausstrahlung.
Und noch eins muss ich gestehen. Bis dato hatte ich mich mit dem Briten Steven Wilson nicht so recht beschäftigt. Aber glücklicherweise war die Pressekonferenz keine Fanveranstaltung, sondern der Auftakt für gute Musik und Musikreproduktion. Und womöglich kennen viele Musikfreunde ebenfalls eher seine Bands und Musikprojekte und weniger ihn als Solo-Künstler.
Am besten bekannt ist Steven Wilson wohl als Gründer, Sänger, Gitarrist und Songwriter der Progressive-Rock-Band Porcupine Tree, mit Alben die vom Classic Rock Magazine zum jeweiligen Album des Jahres gekürt wurden. Andere Bands und Projekten sind das Bass Communion (Ambient, Drone), Blackfield (Pop-Rock), No-Man (Art-Pop) sowie Incredible Expanding Mindfuck (Krautrock, oft abgekürzt zu I.E.M.). Und natürlich Solo unter eigenem Namen. Produziert hat er unter anderem Opeth, Orphaned Land, Fish (Derek William Dick), Anja Garbarek, Marillion, King Crimson, Emerson Lake & Palmer und Paatos. Sein eigenes Label Headphone Dust verlegt Tonträger in Kleinstauflagen. Als Produzent beschäftigt er sich zudem intensiv mit Surround-Aufnahmen.
Soweit die Theorie. Da war er nun, Steven Wilson. Produzent, Toningenieur, Gitarrist, Keyboarder. Er strahlte das natürliches Selbstbewusstsein eines Menschen aus, der in seiner Karriere einiges bewegt hat und dazu eine lässige Präsenz.
Unter anderem Hängen geblieben ist mir Steven Wilsons Ansicht zum Progressive Rock. Dem Genre, dem er gerne zugeordnet wird. Selbst wenn man sein eigenes Ding macht, das in keine Schublade passt, wird es nahezu automatisch zum Progressive Rock. Steven Wilson sieht sich dabei weniger als Genre-Vertreter, sondern als Musiker, der sein eigenes Ding machen will. Eine gemeine Genre-Falle, dieser Prog-Rock…
Er gestand weder nutzungs- noch klientelbezogen (also für Radio, Streaming, HighEnd…) zu mixen. Seine Priorität bestehe darin, dass ihm das Produkt selber gefällt. Eine selbstbewusste Einstellung, das gefällt mir. Das ihm die Realität der Musik-Fans wichtig ist, zeigte seine Einstellung in Sachen Mehrkanal-Musik-Mixe, mit denen er sich intensiv beschäftigt. Dem technisch hervorragenden Dolby Atmos steht er in Sachen Musik reserviert gegenüber, weil die meisten Hörer ein klassisches 5.1 Homecinema-Setup im Wohn- oder Hörzimmer haben und mit Atmos schlicht nicht erreicht werden.
Dabei mixt er pragmatisch auf bekannter Hard- und Software. Die Musik steht für ihn im Mittelpunkt. Die Glaubensfrage analog oder digital federt er geschickt ab: Das hängt von der Musikrichtung ab. Vinyl ist für ihn mit ihrer eigenen knistrigen Atmosphäre toll für Rock und Blues, CD für Elektro und Klassik. Beispiel Ambient: digitale Stille ist totale Stille – ohne Knistern. Null ist null. So sammelt Steven Wilson also alle Tonträger. Die nächste Glaubensfrage beantwortet er ebenso salomonisch. HiFi oder Musik. Ja, er hat eine gute Anlage, aber: Bei der Wahl zwischen besserem HiFi oder weiteren 200 Alben fiele die Wahl wohl auf Letzteres. Schmunzeln auf den Gesichtern. Der Mann ist halt Musiker.
So durften wir an den Ansichten eines interessanten Menschen Teil haben. Herrlich. Zeit, meine musikalische Wissenslücke zu schließen und mich mit Steven Wilson näher zu befassen. Angemessenes Werkzeug dazu konnten wir dann ja die nächsten vier Tage bestaunen.
Am zweiten Messe Tag gab sich Jennifer Warnes in einer Video-Konferenz in heimeliger Umgebung in Californien die Ehre. Unterstützt von Ihrem Manager in München, der zu Beginn der versammelten Presse die Spielregeln erläuterte und das Gespräch moderierte. Der Bassist und Produzent Roscoe Beck wurde nach ein paar Minuten aus Texas zugeschaltet.
Nach einer kurzen Aufwärmphase entstand ein angenehmer, entspannter Dialog zwischen dem Publikum in München und den zugeschalteten Musikern. Aus dem anfänglichen Frage- und Antwortspiel wurde so ein moderiertes Gespräch zwischen Musikern und Fachpresse. Dem Publikum war die Freude anzumerken, im Dialog mit Musikikonen zu stehen. Speziell Jennifer Warnes zeigte Ihre Freude mit den Münchener Gästen plaudern zu können. Auch wenn mir persönlich keine wirklich klugen Fragen einfielen, war es schön, dem Austausch der Musikjournalisten und Jennifer Warnes sowie Roscoe Beck zu folgen.
Im Mittelpunkt des Gesprächs standen zwei Alben: „Famous blue raincoat“ aus 1986, auf der Jennifer Warnes Lieder von Leonard Cohen singt und das als Vergleich zum neuen Album „Another Place, Another Time“ heran gezogen wurde. Beide Alben produzierte sie gemeinsam mit dem ihr vertrauten Roscoe Beck. Als musikalischer Schatten im Hintergrund des Interviews schwebte immer Leonard Cohen, mit dem beide Musiker viel verbindet.
Angesprochen auf die ausgesprochen hohe Aufnahmequalität des Albums „Another Place, Another Time“, dass nach 17-jähriger Pause entstand, sagte Roscoe Beck, er hätte dementsprechende Anweisungen von Jennifer Warnes bekommen. Schließlich sei es vielleicht das letzte Album, also solle es hervorragend werden. Erfrischende Selbstironie. Auf die unvermeidliche Frage nach dem HiFi-Equipment gestand Jennifer Warnes, sie hätte überhaupt kein HiFi zu Hause, kenne aber genug Leute, bei denen sie auf phantastischen Anlagen Musik hören könne. Ihren Tape-Recorder habe sie neulich in die Garage getragen.
Beide waren sich bewusst, dass das Album in audiophilen Kreisen viel gehört wird und bereits oft auf der Messe vorgeführt wurde. Ziel war es auch tatsächlich, eine exzellente Aufnahme abzuliefern, die sich mit „Famous blue raincoat“ messen lassen kann. Das es zwischendurch zu „verunglückten“ Remixen kam belastete Jennifer Warnes nicht wirklich. Jede Zeit habe ihren Stil, so ihre Einstellung, so das gesunde Urteil. Der Zuspruch zu „Another Place, Another Time“ aus der HiFi-Welt gefiel beiden Musikern dann aber sichtlich. Für Jennifer Warnes gibt es Musikhörer und HiFi-Fans sowie Künstler. Beides gehört zusammen. Aber ein Künstler wie sie muss deshalb automatisch kein HiFi-Fan sein. Sie sehe sich auf der Seite der Musiker und fühle sich dort sehr wohl.
Auch wir fühlten uns wohl und hatten unsere Freude an der Videokonferenz. Jennifer Warnes und Roscoe Beck wirkten sehr sympatisch. Im Laufe des Interviews entstand zwischen München, Kalifornien und Texas eine gewisse Verbundenheit, die es fast ein bischen schwer machte, die Live-Verbindung zu trennen.