Pure Bliss
David Sick | Little Raven
(Eigenlabel/-vertrieb)
Dass der Mann sein Instrument beherrscht, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Dass er mindestens genauso gut komponieren wie interpretieren kann, auch. Mit seinem dritten Soloalbum Little Raven macht der Fingerstyle-Gitarrist David Sick, den man unter anderem als gitarrespielenden Part des Duos Mara & David kennt, trotzdem noch einmal alles anders.
Nicht nur, dass er es erstmals in völliger Eigenregie – digital auf den üblichen Kanälen, physisch direkt beim Künstler bestellbar – vertreibt; auch lässt sich hier keine Spur von Coverversionen finden, für die er es zu einiger Berühmtheit gebracht hat, sei es das Abba-Cover „Dancing Queen“ seines Debütalbums Industrial Blues (2004, Acoustic Music) oder seine Interpretation von Michael Jacksons „Billie Jean“ aus dem Nachfolger Offhand (2014, Auryn).
„Ich habe“, so der Virtuose im Gespräch, „diesen Schritt bewusst gewählt, um ein möglichst persönliches Album zu kreieren. Außerdem wollte ich mich diesmal nicht dem Zeitgeist unterwerfen.“ Eine Sorge, die völlig unbegründet ist, ist die Musik von David Sick doch zeitlos im besten Sinne – und benötigt Zeit auch fürs Entstehen. Hat sein zweites Album eine Dekade seines kompositorischen Schaffens reflektiert, bluesig, groovig, klassisch, experimentell, von mir seinerzeit zusammengefasst als „kraftvolle akustische Gitarrenmusik, die das komplette Gefühlsspektrum zwischen radikal verspielt und zärtlich verhalten abdeckt“, sind auch diesmal wieder nahezu zehn Jahre vergangen. Und wieder gelingt Sick der Bogenschlag von einem fast brutalen, eben: industriellen Blues („Sunshine Starlight“) zu etwas forschend Tastendem, das inmitten allen Zurückgelehntseins aber auch schon mal unkomfortabel werden kann („Cherry Shine“). Manchmal aber ist es gar kein Bogenschlag, sondern eine Synthese: eine Musik, verwunschen und geradlinig zugleich, gleichermaßen beruhigend wie aufregend.
Es gibt nicht das eine herausstechende, lebensverändernde Ereignis, das in die Entstehung der fünfzehn Stücke, die der Gitarrist selbst als Songs bezeichnet, eingeflossen wäre. Vielmehr hätten „viele einzelne prägende Dinge zum Komponieren der Stücke angeregt“, wie Sick zu Protokoll gibt, um nach etwas Überlegen hinzuzufügen: „und das über diesen sehr langen Zeitraum sehr gut verteilt.“ Vielleicht erklärt die lange Entstehungszeit den Flow des Albums: Es ist kein Schock wie das Debüt, sondern die extrem ausbalancierte Präsentation von Können, die das Virtuosentum des Im-Fluss-Seins zuliebe nicht (mehr) in den Vordergrund stellt. Oder nicht (mehr) in den Vordergrund stellen muss. Diese Musik ist erwachsen geworden, im Reinen mit sich selbst und der Welt.
Und doch ist die Musik David Sicks auf den ersten Ton als seine ureigene zu erkennen. Es ist eine poetische Musik, basierend auf einer nur schwer zu beschreibenden, direkt die Zuhöreremotionen packenden, perkussiven, Groove-betonten und -betonenden Spielweise, die stets aufs Neue staunen macht, dass hier nur eine einzige Akustikgitarre zu hören sein soll und nicht zwei, wenn nicht gar drei Musiker auf einmal – man denke nur an die wilden Bassläufe von „Cherry Picking“, die eher Flussläufe sind, aus verschiedenen Quellen gespeist, oder jene von „Turbulence“, die wie ein gut geschmiertes, inklusive einer kleinen dramatischen Einlage niedlich vor sich hinstotterndes, weil altes Motorrad den Highway hinunterschnurren. Immer dabei: Der mal populäre („Black Picking“), mal zwingende („Want You Somehow“) Groove, der sich mit einem Refrain paart, in dem man sich so gut aufgehoben fühlt wie in der heimischen Wärme nach einem Wolkenbruch.
Und doch sind sie mir am liebsten, diese dem Groove (und gleichzeitig auch der Welt) den Rücken kehrenden, oh-so-zarten Pfotenhiebe wie „On A Wavering Ground“. Dazu zählt vor allem auch das Titelstück, das einen düsteren Kosmos zeichnet, dunkel, schillernd, schön – und ja, irgendwie auch gefährlich, und ja, dann irgendwie auch wieder zärtlich. Als Kind habe ich mich immer gefragt, was sich wohl hinter dem Jackson-Titel „Smooth Criminal“ verbirgt. Dieses Lied ist die Lösung. Smooth und kriminell gleichzeitig. Die Absicht des Künstlers war es, einen modalen Höreindruck zu erwecken – auch, wenn „Little Raven“ am Ende des Tages in reinem Moll daherkommt, „mit diversen harmonischen Ausflügen nach Dur“ und der für Sick typischen offenen Stimmung der Gitarre, hier in AADABE. „Wer darin das Wort Rabe entdeckt, liegt richtig!“
Dann wäre da noch das nachfolgende „The Bells“ mit seinem hypnotischen Refrain sowie „Large Object“ mit einem einmal mehr zwingenden Bass, kumulierend in einem Stück, das auch als Genrebegriff des ganzen Albums Pate stehen könnte: „Something Warm“, dessen thematische Reprise in den höchsten Lagen von berauschender Schönheit ist. Mehr gibt es hierzu nicht zu sagen, obwohl das Album recht eigentlich erst mit dem geheimnisvoll liquiden und dabei gleichzeitig erdigen „Ninetysix“, das sich gen Minute 1:10 sogar in luftige Höhen aufschwingt, bevor es zum Schluss mit allerlei Modulationen einer offenen Frage gleich endet, sowie dem Unterwasserzeitlupencloser „Maria“, in dem alles steckt, was an David Sicks Musik so glücklich macht, nämlich bliss, pure bliss!, seinen Abschluss findet.
Wer eines der aktuell auf 1.000 Stück limitierten CD-Exemplare möchte, kann sich über kontakt@davidsick.de direkt an den Musiker wenden.